Der Zweite Tod
»Eine Tasche?«
»Ein Kuvert. Wenn man eine Sendung aufgibt, stecken sie es immer in solche Kuverts aus Folienpapier. Ich habe es Carl dann in sein Zimmer gebracht und für ihn mit dem Brieföffner aufgerissen. Man kann die Fol ie nicht mit den Händen zerreißen, damit dehnt man sie nur. Carl hat die Papiere nur überflogen. Er war ganz aufgeregt deswegen. Und ich weiß gar nicht, wie es passiert ist, auf einmal habe ich ihm den Öffner in den Rücken gestoßen. Das war gar nicht tief, aber er war irgendwie gelähmt oder hatte innere Blutun gen. Ich habe dann die Schuldscheine aus dem Akt enschrank geholt und dabei das Geld entdeckt und auch mitgenommen. Dann bin ich abgehauen.«
»Hat er noch gelebt, als du gegangen bist?«, unterbrach Barbro. »Oder war er gleich tot?«
Sie schluckte ver nehm lich. »Er hat mir zu gesehen, aber gesagt hat er nichts mehr.«
Barbro hatte den Tatort- und Obduktionsbericht vor sich liegen und sah in die Akte. Sie fragte Mari nach den Dokumenten, und Mari gab an, dass es sich dabei um etwa zehn Seiten eines gelblichweißen Papiers gehandelt habe, die oben zusammengeleimt gewesen waren, eine Art Durchschlagpapier. Der Inhalt war Mari unbekannt, aber sie hielt es für Lieferpapiere. Noch während sie sprach, erinnerte sich Kjell daran, dass die Säpo hinter den Kontaktadressen ein illegales
Letter-of-Credit-System
vermutete. Die Frachtpapiere passten da hervorragend hinein. Es gab nur einen Haken: Die Spurensicherung hatte solche Dokumente nicht in der Wohnung entdeckt.
»Hast du die Papiere mitgenommen?«, wollte Kjell wissen.
»Ich hatte viel zu viel Angst, Carl zu nahe zu kommen. Ich wusste die ganze Zeit nicht, ob er aufstehen und auf mich losgehen würde.«
»Die Papiere lagen also vor ihm auf der Tischplatte bei den gan zen ande ren Unter lagen?« »Unterlagen?«
»Ja, seinen wissenschaftlichen Notizen. Über den Diskos von Phaistos.« Mari sah ihn misstrauisch an. »Du kennst den Diskos von Phaistos nicht?« »Ich bin mir nicht sicher.«
»Kennst du die beiden Plakate an der Wand vor seinem Schreibtisch?«
Sie schüttelte den Kopf. »Da hingen dauernd andere Plakate, ich wusste nie, was sie darstellten.«
»Zwei Spi ra len wa ren da rauf.«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Und die Sachen auf dem Schreibtisch?«
»Der Schreibtisch war doch leer. Teresa hatte am Vormittag alles geputzt. Carl hatte alles weggeräumt und an seinem geliebten Schreibtisch herumpoliert. Den durfte Teresa nicht berühren. Nur das Telelon stand auf dem Schreiblisch, weil er am Abend mehr mals te lefoniert hat.«
Der Tisch war tatsächlich poliert worden und wies keine Fingerabdrü cke auf. Mit dem Tele fon hatte Carl al lerdings den ganzen Tag nicht telefoniert. Das wäre schön gewesen, dachte Kjell und überlegte, was das bedeuten könnte.
»Hast du davon etwas mitbekommen?«
»Ich hab im Wohn zim mer fernge sehen.«
»Bist du dir sicher, dass er telefoniert hat?«
Sie nickte heftig.
»Kennst du das hier?« Barbro hielt ihr eine Kopie des Passwortgit ters hin.
Mari schüttelte den Kopf.
»Hast du das nie in seinem Zimmer gesehen?«
»Dort war ich nur selten. Er mochte das nicht.«
Kjell forderte Mari auf, alle Details zu schildern. Barbro hörte ihr dabei mit zusammengekniffenen Augen zu.
»Bist du wirklich sicher, dass es so war?«, fragte Kjell zuletzt.
Mari nickte.
Die Er mitt ler zogen sich in das Bespre chungs zim mer zu rück. Henning kratzte sich stumm am Kopf. Das entsprach der Stimmung aller im Raum.
»Ich frage mich, ob sie überhaupt dabei war«, überlegte Kjell laut. »Es stimmt ja so gut wie gar nichts an ihrer Geschichte. Der Schreibtisch war in ihrer Version leer, die Wand vielleicht auch. Bei uns war der Fußboden leer, aber sie gibt an, dass ihr die ganzen Papiere aus dem Aktenschrank auf den Fußboden gefallen sind. Und dann die Tatwaffe. Wie ist die in die Spülmaschine gekommen?«
Sie hatten Mari nicht verraten, wie die Polizei die Wohnung vor gefunden hatte. Sie hat ten nur ih rer Version zugehört.
»Es ist ganz einlach«, sagte Barbro. »Jemand war nach ihr da.«
Kjell rieb sich die Augen.
»Die Wohnung gegenüber«, fuhr Barbro fort. »Jetzt haben wir den Be weis, dass je mand Peterssons Arbeits zim mer von dort aus beob achtet hat.«
»Beweis kann man das nicht gerade nennen«, fand Henning.
»Es deckt sich mit dem pathologischen Belund. Sie könnte ihm den Öffner ins Rückenmark gerammt haben. Auch ihre Behauptung, dass sie die Klinge
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