Der Zwerg reinigt den Kittel
dass Gabi einen Lebensgefährten hat, der Horst heiÃt. Ich erfahre, dass Gabis Lebensgefährte Horst schon wieder verschlafen hat und auÃerdem kein gebügeltes Hemd im Schrank ist. Ich erfahre, dass da sehr wohl ein gebügeltes Hemd ist, nämlich ganz links im Schrank, zwischen einem blaurot gepunkteten Sommerkleid von Gabi und einer grünen Jacke aus Strick, die auch Gabi gehört.
Horst findet das Hemd, Horst findet die Krawatte, Gabi findet Horst süÃ. »Du bist so ein süÃer Wirrkopf«, sagt sie. Horst muss jetzt los. Die Kassenfrau sagt, dass ihr geschiedener Mann seine Hemden auch nie gefunden hat und auch irgendwie süà war, am Anfang. Dann erzählt sie mir die Geschichte ihrer gescheiterten Ehe, es ist zehn vor acht.
An dieser Stelle sollten wir die Vergangenheit fluchtartig verlassen, und das machen wir auch. Wir kehren zurück in die Gegenwart und erholen uns ein bisschen von der Erinnerungsarbeit. Wer jetzt eine Zigarette rauchen will, soll es tun, wer lieber kleine Bienchen in sein Notizbuch kritzelt â von mir aus. Auf jeden Fall entspannen wir uns alle und denken einfach an nichts. In fünfzehn Minuten wird der Bus von der Autobahn abfahren, und dann wird etwas passieren. Etwas GroÃartiges. Ich spreche hier von einem Höhepunkt, den wir auf keinen Fall verpassen sollten, und das werden wir auch nicht, Hand drauf. Aber bis dahin ist Sendepause. Oder wollen Sie die schlecht erzählte Geschichte einer ganz normalen Ehe hören? Wollen Sie fünfzehn Minuten lang das Gesicht einer ziemlich abgewirtschafteten Frau Ende dreiÃig vor sich haben, in Nahaufnahme?
Die Hängelider?
Die Tränensäcke?
Die Magenfalten um den Mund, aus dem es nach halbverdautem Hund riecht?
Na also.
Und deswegen denken wir jetzt an nichts.
3
»Woran denken Sie, wenn Sie an nichts denken?«, sagt Doktor Klupp.
»Und Sie?«, sage ich. Ziemlich schlagfertig, wenn man bedenkt, dass ich gerade noch in der Vergangenheit war und dort herumgehüpft bin, vom Bett in den Bus und dann, zack, mit einem Riesensprung in die Gegenwart. Gar nicht schlecht für eine Frau meines Alters.
»Es geht hier nicht um mich«, sagt er, »sondern um Sie.«
Aha. Na dann.
»Niemand kann an nichts denken, das wollen Sie mit Ihrer Frage doch andeuten, nicht wahr? Und wissen Sie was: Sie haben recht.«
Der kleine KlugscheiÃer hat recht.
»Ich denke zum Beispiel an einen leeren Strand, wenn ich an nichts denke, weil da so gut wie nichts ist. Ein paar zerquetschte Bierdosen vielleicht, aber die kann man ins Meer werfen. Noch besser als der leere Strand ist der Himmel über dem Strand. Er ist grau, wir sind an der Nordsee, nein, Ostsee, wir sind an der Ostsee, waren Sie je an der Ostsee, Herr Doktor?«
»Nein.«
»Ich auch nicht, aber dort ist oft Winter, habe ich mir sagen lassen, und dann ist der Himmel grau, sonst nichts. Noch besser als der Himmel ist Gott, weil Gott ein ewiges Nichts ist, wie der Dichter sagt, und am besten ist dieses Gefühl, das ich vor langer Zeit einmal hatte, ich weià nicht mehr, wann. Nichts zu fühlen ist genauso unmöglich wie nichts zu denken, aber damals habe ich genau nichts gefühlt.«
»Damals?«, sagt Doktor Klupp.
Damals.
Vor langer Zeit.
Kann mich nicht erinnern.
Ich schlieÃe die Augen. Ich will gar nicht, aber es passiert, bevor ich etwas dagegen tun kann. Rötliche Flecken überall, wie immer, ich kann es knistern hören.
»Und warum«, sagt die Stimme von Doktor Klupp, »warum haben Sie damals nichts gefühlt?«
Warum ist das Gras grün?
Warum ist der Himmel grau?
»Ich weià nicht«, sage ich. »Es ist so lange her.«
Die Flecken werden gröÃer, sie breiten sich aus, rote Geschwüre.
»Aber das Gefühl«, sagt die Stimme, »das haben Sie nicht vergessen.«
»Nein. Es war so ⦠ich weià nicht.«
»Und was fällt Ihnen noch ein, wenn Sie an das Gefühl denken? Gibt es da noch etwas, das Sie mit dem Gefühl verbinden? Berührungen, Gerüche?«
»Keine Berührungen. Aber ich rieche verbranntes Holz, ich rieche verbrannten Stoff. Plastik, geschmolzen. Und dann ist da noch etwas, ich kann es riechen, aber ich kann es nicht zuordnen, warum nur?«
Ja, raunt die Stimme, warum nur?
Verbranntes Haar.
Sprechen Sie weiter, raunt die Stimme.
Menschenhaar.
Ich will gerade weitersprechen, da taucht in dem Meer
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