Der Zwerg reinigt den Kittel
verständnislos an. Ihr Mund schlieÃt sich, ich atme zum ersten Mal seit fünfzehn Minuten wieder tief durch. In der winzigen Pause, die mir die Kassenfrau gönnt, erfahre ich, dass die fettarschige Souffleuse gerade auf Diät ist und schon dreihundert Gramm abgenommen hat. Körperfettpräzisionswaage. AuÃerdem erfahre ich, dass Gabis zweitbeste Freundin nach Gitti Silke heiÃt und gerade ziemlich verzweifelt ist.
»Durchhalten, Silke«, sagt Gabi hinter mir, »du schaffst das!«
»Zum Frühstück«, sagt die fettarschige Souffleuse vor mir, »nur fünfzig Gramm Rohschinken.«
»Jeden Tag eine Seite, Silke«, sagt Gabi, »und du bist gut in der Zeit.«
»Neapel? Wieso Neapel?«, sagt die Kassenfrau.
»Mittagessen: Putenbrust auf Knäckebrot, zwei Scheiben. Kresse so viel man will.«
»Du musst dich konzentrieren, Silke, dann klappt das bis zur Prüfung.«
»Versteh ich nicht, das mit Neapel, aber auf jeden Fall macht ihr das mit der Architektur total SpaÃ, und sie sagt immer zu mir: Mami, wenn ich dich nicht hätte, dann wäre das nie was geworden mit dem Studium, weil Papi ja immer wollte, dass ich eine Lehre mache, das Arschloch. Also das hat sie natürlich nicht gesagt, das mit dem Arschloch, dazu ist sie viel zu gut erzogen, aber das Arschloch wollte wirklich, dass sie eine Lehre macht, die Katja, und nur den Herbert wollte er an die Uni schicken, dabei ist der Herbert â¦Â«
Ich presse mein Gesicht schräg an das Fenster und starre durch die Schlieren hinaus. Der Bus wechselt die Spur, er verlangsamt und steuert auf die Ausfahrt zu. Die Schallschutzmauer wird flacher, jetzt ist sie weg, ich kann das Theater sehen.
Da steht es.
In der Ferne.
Am Horizont meines verschissenen Lebens, ein Mahnmal.
Herbert ist schlecht in der Schule und internetsüchtig. Silke ist immer noch verzweifelt. Zum Abendessen gibt es zweihundert Gramm fettarmen Frischkäse, Kresse so viel man will.
Ich greife in meine durchnässte Jackentasche, ich taste nach dem Zeitzünder, da ist er. Unbeschädigt, selbst gebastelt. Man tut viele seltsame Dinge, nachts, wenn man nicht schlafen kann, also warum nicht?
Meine Hand schlieÃt sich um den kleinen Reisewecker, der jetzt ein Zeitzünder ist. Ich drücke auf den Knopf für die Weckfunktion, der Zünder tickt los, ich kann es fühlen. Jede Sekunde ein kleiner Schlag. Es heiÃt immer, die Bombe tickt, dabei tickt der Zünder, die Bombe wartet nur. Sie liegt unter meinem Sitz, der Plastikbehälter ist mit kleinen bunten Totenköpfen bedruckt.
Wir fahren weich in die erste Kurve, Herbert macht eine Internetsuchttherapie, die er nicht machen will, das kostet Geld und Nerven, die Hand in meiner Jackentasche sagt: noch elf.
Wir fahren in die zweite Kurve, Silke wird immer verzweifelter, der Duomo San Gennaro bekommt Sprünge, in der Capella del Tesoro, Ort des Blutwunders, reiÃen die Wände.
Meine Hand sagt: noch neun.
Sie sagt: noch acht.
Ich sage zur Kassenfrau: Lass deinen Sohn in Ruhe, Schlampe!
Ich sage zur Souffleuse: Sprich lauter, Fettarsch!
Die Kassenfrau glotzt mich an, die Souffleuse schielt über den Sitz. Noch sieben, noch sechs, ich werde nie erfahren, ob Silke für eine Führerscheinprüfung lernt oder für die Abschlussprüfung in einer Berufsfachschule für Kosmetik. Ich stehe auf und drehe mich zu Gabi um, die Hand immer in der Jackentasche, die Hand sagt: noch vier, ich sage: »Egal was es ist, sie wird es nie schaffen. Nie.«
Zwei.
Eins.
Den Rest können Sie sich ja selbst vorstellen. Explosion, Schreie, brennende Oberschenkel, die in der Gegend herumfliegen und so weiter.
Doktor Klupp nickt verständnislos. Er ist ein bisschen blass um die Nase.
»Die Details«, sage ich, »überlasse ich ganz Ihnen. Aber achten Sie darauf, dass die Kassenfrau als Erste in Flammen aufgeht. Das ist mir wichtig.«
Doktor Klupp nickt mechanisch. Der Mann hat keine Ahnung. Keine Ahnung von einer soliden Gewaltphantasie.
Die Nummer mit der Bombe war mein Favorit. Sehr realistisch, gute Spannungskurve. Manchmal habe ich den Bus einfach die Leitplanke durchbrechen und über die Böschung stürzen lassen. Nicht besonders spektakulär, aber sehr effektiv: keine Ãberlebenden.
»Wissen Sie«, sage ich und ziehe an der Zigarette, »was mir in all den Jahren ein bisschen leidgetan hat und auch heute noch
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