Der Zwerg reinigt den Kittel
(Wichsen).
Wofür PTBS steht, weià ich nicht. Und es interessiert mich auch nicht.
Doktor Klupp rückt seine Brille zurecht. »Erzählen Sie dort weiter, wo wir aufgehört haben.«
»Im Bett oder im Bus?«
»Wo Sie wollen. Auf dem Feld der Erinnerungen darf sich jeder frei bewegen.«
»Das Ãble«, sage ich zum Feldwebel meiner Erinnerungen und zünde mir eine Zigarette an, »das wirklich Ãble an den Busfahrten mit Mango Tours: Was, glauben Sie, war das?«
Dass ich jeden Morgen nach Italien oder Griechenland unterwegs war und immer im Theater gelandet bin?
Dass ich jeden zweiten Morgen von einer Damenhandtasche misshandelt worden bin?
»Der Geruch«, sagt Doktor Klupp vorsichtig. »Ich tippe auf den Geruch.«
»Gut geraten, Herr Doktor, aber nicht gut genug. Das wirklich Ãble«, ich inhaliere tief, »an den Fahrten mit Mango Tours«, ich atme kräftig aus, »das war«, der Qualm nebelt Doktor Klupp ein, er hüstelt, er wedelt mit der Hand, ich gebe ihm noch drei Sekunden, nichts kommt, der Mann ist ein Versager.
»Das Rauchverbot«, sage ich.
In Gottes Namen, es war das Rauchverbot.
Doktor Klupp nickt verständnislos. Ich wette meine teerschwarze alte Schrumpflunge darauf, dass der Mann noch nie in seinem Leben an einer Zigarette gezogen hat. Armes Schwein. Jetzt denkt er wahrscheinlich an Nikotinsucht und Entzugserscheinungen, wie alle, die keine Ahnung haben.
»Trockener Mund«, sage ich, »SchweiÃausbrüche, zitternde Hände, alles nicht das Thema.«
Wenn dich jemand fragt, warum du immer noch rauchst, obwohl es eine Droge ist, dann sag: nicht das Thema. Und dann blas ihm den Rauch direkt ins Gesicht, und er wird hüsteln und wedeln und dich fragen, warum du immer noch rauchst, obwohl es schlecht riecht und allen die Sicht vernebelt.
Sag: Bingo.
Sag: genau deswegen.
Damit ich dich nicht sehen muss.
Damit ich dich nicht riechen muss.
Es wäre alles leichter zu ertragen gewesen, jeden Morgen im Bus, wenn alles hinter einem Schleier aus zartblauem Rauch verschwunden wäre. Vor allem die Sprechblasen.
Geruch: schlimm. Gelaber: schlimmer. Flupp flupp flupp, Sprechblasen überall, vollgemüllt mit Text, und mittendrin: ich. Neben mir das Gelaber irgendeiner Kassenfrau oder Garderobierin, hinter mir das Gelaber irgendeiner Gabi oder Gisela, die mit irgendeiner Gudrun oder Gitti telefoniert, und jetzt fängt die fettarschige Souffleuse auch noch an, flupp, das ist sie, die Sprechblase, direkt über dem Vordersitz, wir sind seit fünfzig Minuten unterwegs, es ist kurz vor acht.
4
Der Regen klebt in Schlieren auÃen an der Scheibe, vom Fahrtwind festgenagelt, ich klebe innen. Wenn ich mich noch fester gegen die Scheibe drücke, breche ich durch und lande bei hundert Stundenkilometern auf dem Asphalt. Wenn ich nicht sofort tot bin, fährt mich der LKW hinter uns zu Matsch. Die Kassenfrau rückt noch ein Stück näher an mich heran, das macht sie jetzt schon seit fünfzehn Minuten, Zentimeter für Zentimeter. Sie labert pausenlos, ihr Atem zieht sich in feuchtwarmen Schlieren über mein Gesicht. Noch geschätzte drei Minuten, dann fahren wir von der Autobahn ab. Drei Minuten sind nicht viel, ein Klacks, wenn du, sagen wir, gerade in Neapel bist und auf einer Terrasse mit Meerblick Espresso trinkst. Wenn du beim Zahnarzt sitzt, sieht das schon ganz anders aus. Wenn du im Bus von Mango Tours sitzt, neben einer labernden Kassenfrau, dann sind drei Minuten lange genug, um ganz Neapel zu zerstören und wieder aufzubauen.
Während die ersten Häuser von Neapel einstürzen, erfahre ich, dass die Kassenfrau es nach der Scheidung von ihrem Mann, dem Arschloch, nicht leicht gehabt hat, weil es die geschiedene Frau von einem Mann, der ein Arschloch ist, nicht leicht hat.
»Schau, schau«, sage ich und presse mich gegen die verdammte Scheibe.
Alleinerziehende Mutter, zwei Kinder, und das Arschloch zahlt nicht.
»Aha«, sage ich und atme so flach wie möglich.
Während der Palazzo Reale in Schutt und Asche fällt, erfahre ich das eine oder andere Detail aus dem Leben der Kassenfrau als alleinerziehende Mutter. AuÃerdem erfahre ich, dass die Kassenfrau sehr stolz auf ihre Tochter ist, die jetzt schon im zweiten Semester erfolgreich Architektur studiert.
»Trifft sich gut«, sage ich, »dann kann sie ja Neapel wieder aufbauen.«
Die Kassenfrau glotzt mich
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