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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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aus rötlichen Flecken das Gesicht der Kassenfrau auf, flupp, wie eine rettende Boje, und aus dem Mund, flupp flupp, kommen zwei Sprechblasen.
    In der einen steht:
    â€¦ dann hat er gesagt, dass wir uns auseinandergelebt haben im Laufe der Jahre und dass er das Auto behalten wird, wenn ich die Kinder nehme, quasi als Gegenleistung zu den hohen Kosten, die mit einem Auto verbunden sind, und da habe ich gesagt, dass er ein Arschloch ist, weil nämlich zwei Kinder viel mehr kosten als ein Auto und außerdem viel wertvoller sind, rein emotional betrachtet, und da hat er gesagt, dass ich keine Ahnung von Autos habe, und dann ist er gegangen, und da habe ich den Zweitschlüssel vom Auto genommen und …
    In der anderen Sprechblase steht:
    TRAU IHM NICHT .
    Ich reiße die Augen auf, ratsch, ich sage: »Was wollen Sie von mir? Ständig wollen Sie etwas! Erinnerungen, Gefühle, aber da ist nichts, verstehen Sie, einfach nichts!«
    Meine Stimme klingt ziemlich hysterisch. Kann sein, ich verliere gerade die Kontrolle. Ich taste nach der Zigarettenschachtel, den Blick starr auf Doktor Klupp gerichtet, er starrt zurück. Meine Finger finden die Schachtel, wer als Erster die Augen niederschlägt, hat verloren.
    Doktor Klupp senkt den Blick.
    Na, geht doch.
    Ich ziehe eine Zigarette aus der Schachtel und zünde sie an. Meine Hand zittert, die Zigarette zittert, ich klemme sie in den Mundwinkel und lege die Hand flach auf den Tisch, damit der kleine Bastard nichts merkt.
    Vergiss es wieder. Vergiss, was du da gerade gedacht hast.
    Ich inhaliere tief und betrachte meine Affenpfote. Sie vibriert wie ein morscher Bretterboden, auf dem jemand herumtrampelt, ich presse sie stärker gegen den Tisch, blödes altes Ding.
    Doktor Klupp seufzt und faltet die Hände, aber nur kurz, dann nimmt er den Kugelschreiber und kritzelt etwas in sein Notizbuch.
    Soll er doch.
    Mir doch egal.
    Das Notizbuch ist in Leder gebunden, der Kugelschreiber ist moosgrün und viel zu bauchig für einen Kugelschreiber, die Spitze glänzt golden. Sieht aus wie eine Füllfeder. Ich nehme die Zigarette aus dem Mundwinkel und drücke sie in dem überquellenden Aschenbecher aus. Ich sehe auf meine Armbanduhr, ich habe keine, ich sehe auf den Aschenbecher, höchste Zeit.
    Â»Höchste Zeit, dass wir in die Vergangenheit zurückspringen, Herr Doktor. In fünf Minuten fährt der Bus von der Autobahn ab, und ein ganz normaler Arbeitstag in meinem längst vergangenen Leben als einfache berufstätige Frau erreicht seinen Höhepunkt. Wollen Sie immer noch dabei sein, oder haben Sie gerade keine Lust auf Höhepunkte? Wir können natürlich auch zurück ins Bett springen und dort noch ein bisschen herumlungern, bis ich mich endlich aufraffe und den ersten Tag in meinem längst vergangenen Leben als ganz normale Rentnerin in Angriff nehme.«
    Doktor Klupp legt den Kugelschreiber zur Seite und betrachtet das, was er da gerade geschrieben hat. Scheint nicht besonders interessant zu sein, er gähnt. Jetzt fährt er sich mit seinen widerlich schönen Fingern unter die Brille und massiert die Augenlider. Ich beuge mich lautlos über den Tisch. Mal sehen, was unser kleiner Saubermann da hingekleckst hat mit seinem goldgrünen Kugelschreiber, der so tut, als sei er eine Füllfeder. Meine Affenpfote greift nach dem Notizbuch und dreht es um, Doktor Klupp massiert seine Lider, ich lese:
    Patientin stagniert; keine Fortschritte bei der Erinnerungsarbeit (heftige Abwehrreaktionen); Verdacht auf schweres psychogenes Vergessen erhärtet sich. Fortschritte Biographiearbeit: Patientin erzählt sehr offen aus ihrem Leben, heute ohne dysfunktionale Kompensationsversuche (Konfabulation über ihre drei Freundinnen). Verdacht auf chronifizierte PTBS erhärtet sich.
    Die Schrift ist gestochen scharf und winzig klein. Keine Unterlängen.
    Ich drehe das Notizbuch wieder um und lehne mich zurück, gerade noch rechtzeitig, Doktor Klupp zieht seine Finger unter der Brille heraus.
    Graphologie ist kein Hobby von mir, aber ich kann es ja trotzdem einmal versuchen:
    Wenn deine Schrift gestochen scharf ist, bist du ein Bürokrat.
    Wenn deine Schrift gestochen scharf ist und winzig klein, bist du ein verklemmter Bürokrat.
    Wenn deine Schrift keine Unterlängen hat, besteht der Verdacht auf chronifizierte TUDK . Das steht für Triebunterdrückung mit dysfunktionalen Kompensationsversuchen

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