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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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zurück auf ihren Platz.
    Â»Aber …« Schwester Olga starrt Karlotta entgeistert nach, dann dreht sie den Kopf zu Frau Wimmer, die jetzt wahrscheinlich gleich vom Klappstuhl kippen wird wie ein hyperventilierendes Eichhörnchen vom Baum. Ich zähle einundzwanzig, zweiundzwanzig, nichts. Frau Wimmer ist ganz ruhig. Sie macht ganz ruhig eine Schleife in das aufgerissene Zugband, dann zeigt sie auf das Packpapier und sagt: »Ich weiß, welcher Spruch das ist.«
    Â»Ja?« Schwester Olga ist immer noch total entgeistert.
    Â»Ja. DER ZWERG REINIGT DEN KITTEL .«
    Das war vor fünf Tagen, und es war der einzig wirklich gelungene Kreativworkshop, den wir bisher in der R ESIDENZ erlebt haben, weil das mit dem Zwerg und dem Kittel ziemlich kreativ ist, wenn Sie mich fragen.
    Seitdem ist alles eher monoton.
    Aufwärmphase, Aktivitätsphase, Ausklangphase.
    Singen, werfen, singen.
    Marlen spielt nicht mit, Frau Fitz ist ein braves Mädchen, Frau Wimmer auch, nur die Gräfin knarzt manchmal »Weitermachen!«, wenn Schwester Olga uns allzu ausführlich dafür lobt, dass wir jetzt immer so nett miteinander sind und die Aktivitätsphase immer so harmonisch abläuft, weil jeder jeden respektiert und keiner keinem wehtun will und …
    Â»Weitermachen!«
    Sie tut mir leid.
    Ich mag Schwester Olga, und sie tut mir leid. Sie weiß, dass ihr Kreativworkshop Scheiße ist, und sie würde es gerne besser machen, aber sie ist immer so müde, vor allem heute. Violette Schatten unter den Augen, schlohweißes Haar. Die große Umhängetasche steht vor ihr auf dem Boden, gleich wird sie sagen, was wir heute so vorhaben beim Kreativworkshop, und ich könnte natürlich auch etwas sagen.
    Liebe Schwester Olga, könnte ich sagen, warum gehen Sie nicht einfach nach Hause. Verteilen Sie ein paar Pruxal, schalten Sie den Fernseher ein und gehen Sie nach Hause. Schlafen Sie zwölf Stunden oder zwanzig, und dann machen Sie sich einen doppelten Espresso oder einen dreifachen und schreiben Ihre Kündigung. Und wenn Sie damit fertig sind, färben Sie sich die Haare neu.
    Blutiges Rot.
    Giftiges Grün.
    Pink, blau, egal, Hauptsache, es knallt.
    WAS LANGE GÄRT , WIRD ENDLICH WUT .
    Ich sage nichts, Schwester Olga sagt, dass wir heute etwas ganz Besonderes vorhaben beim Kreativworkshop.
    Schau, schau.
    Sie sagt, dass wir heute auf die Aufwärmphase verzichten und direkt in die psychomotorische Aktivitätsphase einsteigen.
    Hört, hört.
    Sie bückt sich und öffnet die Tasche.
    Wir erwarten das Packpapier, aber es ist ein Schuhkarton.
    Wir erwarten den Ball, aber es ist ein Tablett.
    Der Schuhkarton ist mit Geschenkpapier beklebt, rote Herzen auf blauem Grund, der Deckel fehlt. Schwester Olga stellt den Karton auf den Boden, das Tablett legt sie daneben. Dann nimmt sie die Tasche und dreht sie um.
    Dinge fallen heraus. Korken zum Beispiel und Streichholzschachteln. Leere Joghurtbecher, leere Klorollen, ein paar Stofffetzen, blau, grün, gelb, eine große Büroklammer, eine silberfarbene Luftschlange, ein Spielzeugauto, ein Zahnputzbecher, ein Kerzenstummel, eine Schnullerkette – sie fallen aus der Tasche und auf das Tablett.
    Ich starre auf den ganzen Müll und mir wird klar, dass Schwester Olga heute Morgen so gegen 09 : 00 gar nicht am Küchentisch eingeschlafen ist. Mir wird klar, dass sie die empfohlene Einwirkzeit der Blondiercreme nicht verpennt hat, sondern vergessen.
    Prinzip: Die Milch brennt an, und ich merke es nicht.
    Prinzip: Der Kaffee wird kalt, und es ist mir egal.
    Der Braten verkohlt, die Welt geht unter, egal, egal.
    Da war plötzlich eine Idee im Kopf von Schwester Olga, und da hat sie das Jucken und Brennen auf ihrer Kopfhaut nicht bemerkt, weil sie so glücklich war über die Idee und so beschäftigt damit, alle Vorbereitungen zu treffen.
    Jetzt sagt sie: »Wir haben heute etwas ganz Besonderes vor, und ich hoffe, es wird uns allen viel Freude bereiten. Einige von uns leben schon sehr lange hier in der R ESIDENZ «, sie nickt lächelnd der Gräfin zu, dann Frau Fitz, »einige sind erst seit ein, zwei Jahren hier«, sie nickt lächelnd Frau Sonne zu und Frau Wimmer, »oder erst seit einer Woche«, Karlotta, Suzanna, Marlen und ich werden lächelnd benickt. »Aber wir haben alle eines gemeinsam: ein langes erfülltes Leben, das hinter uns liegt. Wir sind alle prall gefüllt mit Erinnerungen an

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