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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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packen?«
    Frau Sonne überlegt, die Schnullerkette pendelt über dem Schuhkarton, dann sinkt sie langsam zurück aufs Tablett.
    Â»Ich glaube, ich nehme lieber das. «
    Frau Sonne nimmt eine Klorolle.
    Â»Es erinnert mich an meine Hochzeit. Wir waren noch sehr jung damals, mein Mann und ich. Er hat vor Aufregung den Trauring fallen gelassen, mitten in der Zeremonie, und dann hat er sich bücken müssen und den Ring aufheben, und das war ihm sehr peinlich. Aber der Pfarrer hat geschmunzelt und gesagt, dass das nur gut ist, weil man gar nicht oft genug auf die Knie gehen kann vor der Frau seines Lebens. Alle haben lachen müssen in der Kirche, ein paar haben sogar applaudiert, es gibt sehr schöne Fotos davon. Lauter lachende Gesichter.«
    Â»Und warum«, sagt Schwester Olga freundlich und ein wenig irritiert, »warum erinnert Sie die Klo… dieser besondere Gegenstand an Ihre Hochzeit?«
    Frau Sonne lächelt.
    Lockenwickler.
    Â»Ich wollte damals unbedingt Locken haben zu meiner Hochzeit, und weil meine Haare so glatt sind, habe ich die ganze Nacht mit Lockenwicklern geschlafen. Sie sind mir aber verrutscht, ins Gesicht hinein, ich habe nichts gemerkt, und in der Früh war ich voller Abdrücke, vor allem hier«, Frau Sonne tippt auf ihre rechte Wange, genauer gesagt auf das Entenpflaster auf ihrer rechten Wange. »Die Abdrücke sind den ganzen Tag nicht weggegangen, mein Mann wollte unbedingt, dass der Fotograf ein Foto davon macht. Später haben wir das Foto oft gemeinsam angeschaut, mein Mann und ich, und er hat immer gelacht und gesagt, dass die Locken schon toll waren, aber dass ihm eine glatte Frau ohne Abdrücke dann doch lieber ist.«
    Schwester Olga nickt und macht ein Nein-was-für-eine-reizende-Geschichte-Gesicht.
    Â»Das ist eine sehr schöne Erinnerung, die Sie gerade mit uns geteilt haben, Frau Sonne, und ich schlage vor, dass Sie die Klo… die Erinnerung in den Erinnerungskoffer legen.«
    Frau Sonne überlegt, dann legt sie die Klorolle vorsichtig zurück aufs Tablett und nimmt eine Streichholzschachtel.
    Â»Ich glaube, ich nehme lieber das «, sagt sie, »es erinnert mich an …«
    Â»Verdammt noch mal! Jetzt pack schon eine von deinen scheiß Erinnerungen in den scheiß Erinnerungskoffer!«
    Karlotta ist der Geduldsfaden gerissen. Sie steht mit einem Ruck auf und schlurft im Turbotempo zu Frau Sonne. Sie reißt Frau Sonne die Streichholzschachtel aus der Hand, sie hält Frau Sonne die Streichholzschachtel unter die Nase, sie faucht:
    Â»Das! Woran erinnert dich das?«
    Frau Sonne starrt mit angstgeweiteten Augen auf die Streichholzschachtel.
    Â»Bitte …«, flüstert sie.
    Â»Woran erinnert dich das?«
    Â»Bitte … bitte nicht …«
    Â»Frau Könick! Gehen Sie sofort zurück auf Ihren Platz! Sofort! Bitte!«
    Karlotta ignoriert Schwester Olgas Befehl, der wieder mehr wie ein Flehen klingt. Sie hält die Streichholzschachtel noch dichter an Frau Sonnes Gesicht.
    Â»Du willst mir also nicht sagen, woran dich das erinnert? Na gut, dann sag ich es dir: Es erinnert dich an alles. An alles, was jemals schön war in deinem Leben oder halbwegs erfreulich, und das ist nicht viel, weil du nämlich ein Opfer bist. Weil du dir von jedem x-beliebigen Arsch in den Arsch treten lässt oder ins Gesicht schlagen. Weil du dich jahrzehntelang mit einem Imker abgegeben hast, der glatte Frauen ohne Abdrücke gut findet, und jetzt ist er tot, der Imker, zum Glück, aber dafür gibt es solche Kotzbrocken wie Schwochow, die dir in die Wange zwicken, oder solche Scheißweiber wie die Schnalke, die dir das Leben zur Hölle machen, und du wehrst dich nicht. Du wehrst dich nie, nicht einmal gegen einen verfetteten alten Kater, der dir jede verdammte Nacht deine verdammte«, Karlotta schlägt mit der Streichholzschachtel hart auf Frau Sonnes Nase, genauer gesagt auf das Mickymauspflaster über der Nase, »deine verdammte Nase halb abfrisst. Und deswegen passen alle halbwegs erfreulichen Erinnerungen deines Lebens in diese« Schlag auf die Nase »Streichholzschachtel, und das heißt, diese « Schlag »Streichholzschachtel erinnert dich an das beschissene Fotoalbum, das du immer mit dir herumschleppst, du Opfer! Und jetzt packen wir dein beschissenes Album in den Erinnerungskoffer, und dann ist verfickt noch mal Ruhe im Karton!«
    Karlotta schleudert die Streichholzschachtel

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