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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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Klappstühle nehmen, Halbkreis bilden – ich weiß nicht, ob Sie eine Vorstellung davon haben, was das für acht alte Frauen bedeutet, von denen eine den grauen Star hat, eine plemplem ist und eine ihren Müllsack nicht loslassen will.
    Wenn wir endlich im Halbkreis sitzen, entrollt Schwester Olga das Packpapier und legt es vor uns auf den Boden. Auf dem Packpapier stehen ein paar Buchstaben, in Riesenschrift, zwischen den Buchstaben sind faustgroße Punkte, in etwa so:
    I N   D . .   K Ü . Z .   L I . . .   D I .   W Ü . Z .
    Das ist ein unvollständiges Sprichwort, erklärt uns Schwester Olga jedes Mal, und dass sie jetzt einer von uns den Ball zuwerfen wird, und die soll dann den Ball bitte fangen und einen Buchstaben sagen, von dem sie denkt, dass er in dem Sprichwort vorkommt. Dann soll sie den Ball jemand anderem zuwerfen, der wieder einen Buchstaben sagt und so weiter.
    Wenn der Buchstabe vorkommt, trägt Schwester Olga ihn mit dem Filzstift in das Sprichwort ein. Wenn nicht, sagt sie immer: »Das macht gar nichts! Nur nicht entmutigen lassen! Wichtig ist, dass es uns allen Spaß macht und dass wir das Sprichwort irgendwann erkennen.«
    Mittlerweile läuft das ganz gut, das mit der psychomotorischen Aktivität, aber nur, weil Marlen nicht mehr mitspielen darf. Karlotta hat es ihr verboten.
    Bei unserem ersten Kreativworkshop in der R ESIDENZ vor acht Tagen wollte Schwester Olga gerade anfangen und den Ball werfen, da hat Marlen mit einem blutroten Zeigefingernagel auf das Packpapier gezeigt und gesagt:
    Â»Ist doch klar: IN DER KÜRZE LIEGT DIE WÜRZE .«
    Und das war’s dann mit der Aktivitätsphase. Schwester Olga hat noch zweimal Im Frühtau zu Berge mit uns gesungen, zum Ausklang, und sich am Ende mit belegter Stimme dafür entschuldigt, dass der Workshop heute ein bisschen kurz war.
    Am nächsten Tag war das Sprichwort aus zwanzig Punkten und sechs Buchstaben:
    D . .   . . . . .   . . . D,   D . .   A . D . . .   . . . . D
    Marlen runzelt die Stirn, Schwester Olga wirft den Ball Frau Sonne zu, Frau Sonne fängt und sagt leise: F.
    Â»Bravo! Ein F kommt vor!« Schwester Olga zückt den Filzstift, Marlen grinst.
    Â»Ist doch klar«, sagt sie, » DES EINEN LEID , DES ANDERN FREUD .«
    Zum Ausklang zweimal Das Wandern ist des Müllers Lust, Schwester Olgas Gesicht beim Singen: ein schmutziggrauer Fleck, ausdruckslos.
    Â»Hör auf damit!«, hat Karlotta nach dem zweiten Kreativworkshop zu Marlen gesagt. »Wenn du nicht aufhörst, ist die Operation Hinterland gefährdet, oder wie willst du das dem MDK erklären, dass deine Neuronen schneller feuern als die Neuronen einer Sechzehnjährigen, die täglich Gehirnjogging treibt?«
    Am dritten Tag bestand das Sprichwort aus einundzwanzig Punkten und drei Buchstaben, beim Ausrollen des Packpapiers haben Schwester Olgas Hände gezittert.
    D . .   . . . C .   . . . . . . .   D . .   . . . . . .
    Schwester Olga wirft den Ball, Suzanna fängt und sagt: G.
    Schwester Olga nickt, sie zieht langsam die Kappe vom Filzstift ab und schielt ängstlich nach Marlen.
    Marlen betrachtet ihre Fingernägel.
    Schwester Olga schreibt ein G ins Sprichwort, Suzanna wirft den Ball, Karlotta fängt und sagt: L.
    Â»Bravo.« Schwester Olga wird ein bisschen mutiger, aber nur ein bisschen, sie schielt nach Marlen.
    Marlen schiebt die Nagelhaut an ihrem Daumen zurück.
    Schwester Olga schreibt zweimal L ins Sprichwort, Karlotta wirft, Frau Fitz fängt und sagt: Zwei.
    Â»Zwei«, sagt Schwester Olga freundlich, »ist kein Buchstabe, sondern eine Zahl, Frau Fitz. Bitte versuchen Sie es noch einmal.«
    Â»Zwei«, sagt Frau Fitz noch einmal.
    Â»Frau Fitz, bitte sagen Sie einen Buchstaben, keine Zahl.«
    Â»Zwei, zwei, zwei, zwei …«, die Stimme von Frau Fitz wird immer höher und immer lauter, jetzt fängt sie an, bei jedem »zwei« mit dem Fuß auf den Boden zu stampfen, Suzanna hält sich kichernd die Ohren zu, Frau Wimmer klammert sich fester an ihren Müllsack, Marlen murmelt etwas. Sie schiebt die Nagelhaut an ihrem Zeigefinger zurück und murmelt: » DER ZWECK HEILIGT DIE MITTEL , ist doch klar«, Frau Fitz kreischt und stampft.
    Â»Ist ja gut, ist ja gut! Beruhigen Sie sich, Frau Fitz!«
    Schwester Olga beugt sich

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