Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
wurde.«
    Mütterchen und Löwenzahn wechselten einen Blick, dann nickte die Räuberin. »Alles?«, fragte sie den Zwerg mit hochgezogener Augenbraue.
    Er brummte etwas Unverständliches, dann sagte er: »Alles!«
    So brachen sie auf und traten zum zweiten Mal an diesem Tag durch das Portal auf die Plattform über dem Nibelungenhort. Abermals schlug sie der überwältigende Goldglanz aus der Tiefe in seinen Bann, doch diesmal verharrten sie nicht angesichts dieses Anblicks. Was immer ihnen zu tun blieb, musste sehr schnell getan werden. Alberich betrat als Erster die schmale Treppe in der Wand der Halle, Mütterchen, Geist und Löwenzahn folgten ihm. Die Stufen waren zu schmal, um zu mehreren oder auch nur zu zweit nebeneinander zu gehen, und so machten sie sich hintereinander auf den Weg. Ein kühler Luftzug spielte in ihrem Haar, in Alberichs Bart und im Fellbesatz von Löwenzahns Rüstzeug. Es roch anders als in den übrigen Sälen und Fluren des Berges, nicht feucht und modrig, sondern metallisch, fast wie Blut. Mütterchen hatte nicht gewusst, dass Gold einen eigenen Geruch besaß, aber sie hatte auch nie vor ihrer Zeit im Hohlen Berg solche Mengen davon auf einem Haufen gesehen. Sie fragte sich sorgenvoll, welche anderen neuen Erfahrungen ihnen der Abstieg in die Tiefe der Horthalle bringen würde.
    Dann aber hob Alberich seine Stimme, und die Gedanken der anderen wandten sich dem zu, was er zu berichten hatte. »Vor zwei Jahrhunderten war der Hohle Berg ein Ort voller Leben. Kein zweites Zwergenvolk gab es südlich der Nordlande, das es zu solcher Blüte gebracht hatte. Hunderte, tausende meiner Brüder und Schwestern bevölkerten die tiefen Hallen des Berges, sie schürften Gold und Silber und Erz in den Minen und fertigten daraus den prächtigsten Schatz, den je das Auge eines Sterblichen gesehen hat.
    Doch das Volk vom Hohlen Berg war kein glückliches Volk, denn es war nicht sein eigener Herr, und der letzte König unter dem Berg, Thorhâl, war ein König ohne Macht. Die wahren Herrscher waren die Nibelungen, denen sich einer von Thorhâls Vorgängern verpflichtet hatte, und das Geschmeide, das die Zwerge schufen, fiel allein dem Fürsten Nibelung und seinen Erben anheim. Meine Vorfahren trugen keine Sklavenketten, und es gab keine Wächter oder Aufseher im Hohlen Berg; und doch fesselte der Eid des alten Königs die Zwerge fester an die Faust der Nibelungen als jeder Reif aus Stahl und jede schmiedeeiserne Kette. Vergessen war der Zugang zur alten Zwergenstraße, durch die vor Urzeiten die ersten Zwerge aus dem Nordland zum Hohlen Berg gekommen waren, und so lebten meine Vorfahren friedvoll, aber betrübt in diesen Hallen und mehrten den Reichtum der Nibelungenfürsten.
    Da begab es sich eines Tages, dass Eindringlinge im Hohlen Berg gesichtet wurden, erst einzelne, dann immer mehr, bis schließlich eine ganze Heerschar aus den Tiefen heraufstieg und Krieg über mein Volk brachte. Nordlinge waren es, gewaltige Krieger, vielleicht den Menschen verwandt, vielleicht auch den Riesen, oder gar eine bösartige Kreuzung aus beiden. König Thorhâl und seine Kämpfer erkannten, dass die Nordlinge nur über einen einzigen Weg in den Berg gelangt sein konnten: Es musste ihnen gelungen sein, die alte Zwergenstraße zu durchqueren, vom eisigen Nordland aus bis hierher, mitten ins Herz des Hohlen Berges. Sie hatten den vergessenen Zugang von unten aufgestoßen und waren geradewegs in Thorhâls Reich marschiert, und mit sich brachten sie Tod und Verderben. Ihr scharfer Stahl blitzte im Goldglanz des Hortes, und ihre Augen leuchteten vor Gier. So kamen sie über meine Vorfahren, und viele meiner Brüder fielen unter ihrem ersten Ansturm. Schlacht um Schlacht entbrannte in den Hallen des Berges, wochenlang wüteten die Kämpfe. Die Nibelungen weigerten sich einzugreifen, sie versperrten das Portal des Hohlen Berges von außen und warteten ab, wer als Sieger aus dem Krieg in der Tiefe hervorgehen würde. Seit Generationen hatten die Zwerge nicht mehr kämpfen müssen. Alles, was sie kannten, war die Arbeit in den Minen, das Schürfen nach Gold, das nicht ihnen gehörte. Die Hälfte der Zwergenarmee fiel im Kampf gegen die Nordlinge, und doch gelang es dem Rest, den Feind vernichtend zu schlagen. Hunderte Zwerge hatten ihr Leben gelassen, obwohl die Angreifer ihnen an Zahl weit unterlegen waren.
    Teile des Berges waren verschüttet, neue Durchbrüche und Höhlen entstanden, und trotz ihrer Verluste hatten die Zwerge

Weitere Kostenlose Bücher