Der Zwergenkrieg
Schultern, und nicht einmal der Halbhunne wagte, Alberichs Hymne auf Grimma zu unterbrechen, so als spürte er instinktiv, dass es hier um weit mehr ging als nur um den Ruhm einer alten Zwergenheldin.
»Stark war Grimmas Axtarm«, sagte Alberich, »und weise ihr Zuspruch. Sie verdrängte die Kälte aus ihrem Körper und mit ihr die Angst vor dem, was sie im Nordland erwarten mochte. Kein anderer hätte den Trupp so weit führen können, und keinen hätte das, was später geschah, härter treffen können als sie.«
Abermals hielt er inne, und nachdem eine Weile lang das Klappern ihrer Schritte auf den Felsstufen der einzige Laut in der Halle gewesen war, fuhr er tonlos fort: »Grimma und ihre Männer erklommen die Steinrampe, die hinauf zum Ausstieg der Zwergenstraße führte, und weit über sich sahen sie den Himmel des Nordlandes, schwer von Wolken aus Schnee und Eis. Die Kälte biss durch ihre Kleidung, stach wie Pfeilspitzen in ihre Leiber, doch in diesem Augenblick war aller Schmerz vergessen. Sie waren am Ziel, endlich am Ziel, und sie hatten kaum mehr als fünf Monde dafür gebraucht. Es war eine Zeit voller Entbehrungen gewesen, eine Zeit des Hungers, der Kälte und der Einsamkeit im Dunkeln. Zwei von ihnen waren dabei auf der Strecke geblieben, zwei weitere konnten vor Erschöpfung kaum mehr laufen. Jetzt aber, da das Nordland in greifbarer Nähe lag, waren das Elend und die Qual des Weges vergessen, und vor sich glaubten sie die Zukunft ihres Volkes, die lang ersehnte Freiheit.
Sie erreichten den Rand der Öffnung und sahen, dass sich um sie herum steile Schrägen erhoben, ein Rund aus steinernen Stufen. Eine Arena war es, ein Amphitheater von gewaltigen Ausmaßen, und in seiner Mitte klaffte der Zugang zum Tunnel. Grimma und die Krieger kletterten die verschneiten Ränge empor, und oben angekommen entdeckten sie, dass sich die Arena im Herzen einer Stadt befand und die Stadt in einem Tal und das Tal in einem hohen, zerklüfteten Gebirge. Kein lebendes Wesen war weit und breit zu sehen. Die Stadt war ein Labyrinth aus Ruinen, aus Mauerresten, eingestürzten Torbögen und zerfallenen Dächern, und ringsum türmten sich gewaltige Felsbrocken, manche nicht größer als ein Pferd, andere aber so schwer wie ein Haus, und es sah aus, als seien sie geradewegs vom Himmel herabgefallen. Alles war von einer Schneedecke überzogen, die es schwierig machte, Einzelheiten zu erkennen. Doch je länger Grimma und die anderen über den Rand der Arena hinausschauten, desto größer wurde ihre Gewissheit, dass diese Stadt nicht immer im Freien gelegen hatte. Denn die Felsen waren augenscheinlich die Überreste einer mächtigen Höhlendecke, die das ganze Tal überspannt hatte, und die Berghänge rundherum waren die Wände einer riesigen Grotte. Die Häuser, Plätze und Straßen hatten einst im Inneren eines Berges gelegen, bis irgendetwas – oder irgendwer – die Felsdecke zum Einsturz gebracht hatte.
Grimma hatte nach so langer Zeit endlich die alte Heimat ihrer Väter wiedergefunden, und nun genügte ein einziger Blick, um zu erkennen, weshalb die Zwerge sie damals verlassen hatten.«
KAPITEL 5
Sie lagen in einer Reihe am Rande der Arenamauer, achtzehn Zwerge nebeneinander, jeder in Felle gehüllt. Fassungslos blickten sie über die schneebedeckte Ruinenlandschaft. Viel war von der Stadt nicht mehr zu erkennen, weit über zwei Drittel lagen unter den Trümmern der eingestürzten Höhlendecke begraben. Anders als das Reich im Hohlen Berg, das aus einem System von Höhlenkammern und Stollen bestand, war dies eine Stadt beinahe nach dem Vorbild der Menschen gewesen. Sie war ebenerdig angelegt worden, mit Häusern und Türmen und offenen Straßen. Der einzige Unterschied war, dass sie am Boden einer gewaltigen Grotte errichtet worden war.
Styrmir, der Berater des Königs, lag rechts neben Grimma. Er hatte offenbar den gleichen Gedanken wie sie. »Kein Zwerg vermag es heutzutage mehr, einen Hohlraum von solcher Größe in den Fels zu treiben«, flüsterte er beeindruckt.
»Einen ganzen Berg abzustützen«, meinte Egil, »das ist unglaublich!«
»Unglaublich, ja, und anscheinend auch ziemlich unbedacht«, setzte Gellir Rotbart mürrisch hinzu. »Immerhin ist die Decke eingestürzt.«
Styrmir ließ seinen Blick weit über die untergegangene Stadt schweifen. »Da unten ist kein Leben mehr«, stellte er fest. Er wollte aufstehen, doch Grimma riss ihn an der Schulter zurück auf den vereisten Stein.
»Warte!«, befahl
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