Der Zypressengarten
zirpten, sich die Vögel zur Ruhe begaben und das Licht weicher golden wurde. Für Floriana waren diese Momente ein Gottesgeschenk, das sie in vollen Zügen genoss.
Violetta sah die Sommerromanze ihres Sohnes mit wachsendem Unbehagen. Die beiden waren eindeutig ineinander verliebt, was rührend anzuschauen war, doch sie fürchtete, dass Floriana das Herz brach, wenn das unvermeidliche Ende eintrat. Im September sollte Dante nach Mailand ziehen, wo für ihn der Ernst des Lebens begann, und Floriana ließe er unglücklich hier zurück.
Mit Beppe sprach sie nicht darüber. Soweit es ihn betraf, war ihre Romanze nichts als eine von vielen kurzen Liebeleien, die Dante in jungen Jahren genießen durfte, ehe er sich angemessen verheiratete. Weder überraschte sie ihn, noch interessierte sie ihn sonderlich.
Nicht jeder indes war so herzlos wie Beppe. Pater Ascanio ahnte, dass eine schreckliche Katastrophe herannahte, und beschloss, mit Floriana zu sprechen, als sie kam, um ihre Kerze anzuzünden.
Floriana hatte großen Respekt vor Pater Ascanio, den sie schon so lange kannte, wie sie denken konnte. Und sie hatte Ehrfurcht vor ihm, weil er der älteste Mann in ganz Herba war, somit also Gott am nächsten von allen. Als er nun sagte, dass er sie sprechen wolle, fühlte sie sich sofort schuldig und überlegte angestrengt, was sie verbrochen haben mochte. Eingeschüchtert folgte sie ihm in eine kleine Seitenkapelle, wo sie ungestört waren.
»Du siehst verängstigt aus, Floriana«, sagte er und setzte sich auf einen der Holzstühle vor dem Altar.
»Na, weil ich fürchte, dass ich gesündigt habe, wenn Sie mich sprechen wollen.«
Beim Lächeln legte sich sein freundliches altes Gesicht in unzählige Falten. »Du bist kein Kind mehr, Floriana. Die Tage, in denen du von den Klippen gesprungen bist und deinen Unterricht geschwänzt hast, sind lange vorbei. Nun bist du eine gottesfürchtige junge Frau an der Schwelle zu deinem sechzehnten Geburtstag, und ich bin stolz auf dich.«
»Dann habe ich nichts Falsches gemacht?«
»Nein, gar nichts.«
»Warum wollen Sie denn mit mir reden, Pater?«
Er zögerte und bat Gott stumm um Hilfe. Junge Liebe war ein Gebiet, auf dem er sich überhaupt nicht auskannte. Er holte Luft und stürzte sich ins kalte Wasser der Vernunft. »Mein liebes Kind, da dir eine Mutter fehlt, die dich auf deinem Weg hin zur Frau begleitet, habe ich den Eindruck, dass mir als Hirte dieser Gemeinde die Aufgabe zufällt, dir väterlichen Rat zu geben.«
Floriana wurde die Brust eng vor Furcht, denn sie wusste gleich, dass es um Dante gehen musste. Pater Ascanio bemerkte ihre Angst und nahm ihre Hand. »Ich weiß, dass dich und Dante Bonfanti eine tiefe Freundschaft verbindet.«
»Ja, Pater.«
»Aber ich würde meine von Gott auferlegte Pflicht vernachlässigen, wenn ich dich nicht beizeiten auf die Unmöglichkeit dieser Verbindung hinweise.«
»Unmöglichkeit?«
Pater Ascanio betete um innere Kraft, als Floriana die Tränen kamen und über ihre aschfahlen Wangen rannen.
»Er kehrt im September nach Mailand zurück, um für seinen Vater zu arbeiten, und dein Leben wird wieder das, was es vorher war. Du bist so jung, meine Liebe, und er ist dreiundzwanzig, ein Mann …« Seine Stimme versagte, als Floriana vor seinen Augen das Herz brach. »Es tut mir sehr leid, dass ich dir das sagen muss, aber ich möchte dir unnötigen Schmerz ersparen, indem ich dich auf die Wahrheit vorbereite.«
»Aber, Pater, Dante liebt mich!«
»Ich bin sicher, dass er das tut. Doch denkst du wirklich, dass sein Vater ihm seinen Segen geben würde, dich zu heiraten?« Floriana senkte den Blick. »Ihr kommt aus sehr unterschiedlichen Welten, mein Kind. Du machst gerade eine Erfahrung, die du in Ehren halten darfst, aber du wirst nach vorn blicken und dir jemanden deines gesellschaftlichen Ranges auswählen müssen. Dante Bonfanti kann nicht dein Mann werden.« Mitanzusehen, wie sie vor Kummer verging wie ein abgefallenes Blatt im Herbstwind, war zu viel für Pater Ascanio. »Ich lasse dich allein, damit du dich wieder fassen kannst«, sagte er sanft und tätschelte ihre Hand.
»Ich liebe ihn so sehr, Pater.«
»Manchmal ist die Liebe nicht genug, Floriana.«
»Aber Jesus …«
Er senkte die Stimme. »Du hast recht. Jesus lehrte uns, unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst, doch leider hat Beppe Bonfanti diese Lektion bislang nicht gelernt.«
Floriana blieb allein in der kleinen Kapelle. Sie vergrub ihr Gesicht in den
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