Der Zypressengarten
ablehnen«, widersprach Rafa optimistisch.
»Nicht wenn wir pleite sind.« Sie seufzte. »Da, jetzt habe ich’s gesagt. Ja, du kannst es ebenso gut wissen, Rafa. Wir sind bis unter die Hutschnur verschuldet, und wir verdienen einfach kein Geld.«
»Aber das Hotel ist voll ausgebucht«, entgegnete Clementine. »Wir müssen etwas verdienen.«
»Solange du keine gute Fee aus dem Ärmel zauberst, die ihren Zauberstab schwenkt und uns eine riesige Geldspritze verpasst, können wir die Kredite niemals abbezahlen.«
»Es muss einen Weg geben«, sagte Rafa.
Marina schüttelte den Kopf. »Falls es einen gibt, habe ich bisher nicht herausgefunden, welcher das wäre.« Sie begann, an der Haut neben ihrem Daumennagel zu nagen, denn es stimmte nicht ganz. Es gab durchaus einen Weg. Er war ihr schon viele Male in verzweifelten Momenten in den Sinn gekommen. Anfangs waren es nichts als die Irrwege einer unglücklichen Seele gewesen, doch als die Gefahr konkret wurde, das Polzanze zu verlieren, hatte diese Möglichkeit klarere Konturen angenommen.
Dennoch ging ein Wunsch noch tiefer als der, das Polzanze zu retten. Zuerst hatte sie zu große Angst gehabt, auch bloß darüber nachzudenken, doch nach und nach war der Gedanke zu einer Möglichkeit geworden und hatte ihr neue Hoffnung geschenkt. War ihr Plan, das Hotel zu retten, nur ein Vorwand, zurückzugehen und das schreckliche Unrecht zu korrigieren? Vor ihrem geistigen Auge sah sie die kleine Schachtel oben in ihrem Wandschrank vor sich und erschauderte bei der Vorstellung, in ihre Vergangenheit zurückzukehren.
Clementine deutete ihr Erschaudern irrtümlich als Hilflosigkeit und ergriff ihre Hand. Marina lächelte sie nervös an.
Schließlich reisten die Reubens in ihrem Bentley mit Chauffeur wieder ab, und Grey erschien in der Küchentür. Selbst Biscuit hob den Kopf, um zu hören, was er zu sagen hatte.
»Na?«, fragte Marina, auch wenn sie ihm die Antwort bereits ansah. »Oh Gott, er hat ein Angebot gemacht, oder?«
Rafa blickte Clementine an. Sie beide dachten dasselbe, guckten zu Marina und schauten hilflos zu, wie sie vor ihren Augen zu zerfallen schien.
»Ist es ein sehr gutes Angebot?«, fragte sie mit bebender Stimme.
»Es ist das beste Angebot, das wir erwarten können«, antwortete Grey. Aus Scham wollte er nicht zugeben, dass ein Teil von ihm erleichtert war, endlich einen Ausweg aus ihrer finanziellen Misere gefunden zu haben.
»Was willst du machen?«
Clementine drückte Marinas Hand. »Du darfst nicht verkaufen, Dad. Es muss eine andere Lösung geben.«
Grey kratzte sie seufzend am Kopf. »Mir fällt keine ein.«
Marina schloss die Augen. In diesem kurzen Moment sah sie ihr Leben im Schnelldurchlauf. Da war das Zuhause, das sie aufgebaut hatte und über alles liebte: Harvey und sie lachend, als sie die Diele strichen; Mr Potter, der auf dem neuen Traktormäher den Rasen mähte; Grey, der an den Wochenenden kam und ihre Fortschritte bewunderte; sie beide im Gewächshaus sitzend, während der Regen gegen die Scheiben prasselte, sie an Mr Potters Vollkornkeksen knabberten und überlegten, welche Pflanzen sie kaufen und wo einsetzen sollten. Sie hatten gemeinsam geplant, Harvey, Mr Potter, Grey und Marina. Sie waren ein Team gewesen, eine Familie. Marina hatte ihren Traum mit schierer Willenskraft wahrgemacht und mit Liebe gewässert, worauf er größer und schöner wurde, als sie es sich je ausgemalt hatte. Keiner nahm ihr das weg. Nicht jetzt, nicht, wo sie diesen Traum am dringendsten brauchte.
»Es gibt einen Menschen, der uns helfen kann«, sagte sie und reckte trotzig ihr Kinn. »Wenn du erlaubst, dass ich ihn bitte.«
33
In der Küche wurde es totenstill. Rafa, Clementine und Grey starrten Marina entgeistert an.
»Wer?«, fragte Grey. Er dachte, sie hätten bereits alle Möglichkeiten durchgespielt.
Marina wurde verlegen. »Ein alter Freund.«
»Was soll das heißen, ein alter Freund?« Grey runzelte die Stirn.
»Es ist kompliziert. Ich habe ihn vor langer Zeit gekannt.«
»Na gut, und wo ist er?«
Sie zögerte, zurrte unruhig an ihren Fingern. »In Italien.« Die zwei Worte waberten in der Luft, während die anderen drei sie staunend anguckten. Aber keiner von ihnen war erstaunter als Marina.
»Italien?«
»Ja.«
»Wen kennst du denn in Italien, der auch noch vermögend genug ist, uns rauszuboxen?« Grey sah sie über den Tisch hinweg an. »Schatz, das ist eine echte Überraschung. Warum hast du mir noch nie von ihm
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