Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
zum
    Konversationslexikon) besetzen viel Platz im Bücherregal, sind schwierig zu benutzen und kostspielig. Diese können eines Tages durch multimediale Silberscheiben ersetzt werden. Dadurch wird Platz frei, zu Hause wie in den öffentlichen Bibliotheken, für die Bücher zum Lesen (die von der Göttlichen Komödie bis zum letzten Kriminalroman gehen).
    Die Bücher zum Lesen sind durch keinerlei elektronisches Speichermedium ersetzbar. Sie lassen sich überall in die Hand nehmen, auch im Bett, auch in einem Boot, auch dort, wo es keine Steckdosen gibt, auch dann, wenn jede Batterie leer ist, man kann in ihnen etwas unterstreichen, eine Seite einknicken, ein Lesezeichen hineinlegen, man kann sie auf den Boden fallen- oder aufgeschlagen auf die Brust oder auf die Knie sinken lassen, wenn einen der Schlaf überkommt, sie passen in die Jackentasche, sie können angestoßen werden, sie nehmen ein individuelles Aussehen an, je nach der Intensität und Regelmäßigkeit unserer Lektüre, sie erinnern uns daran (wenn sie zu frisch und unberührt aussehen), daß wir sie noch nicht gelesen haben, sie lassen sich in der von uns gewünschten Kopfhaltung lesen, ohne uns die starre und angespannte Haltung vor einem Computerbildschirm aufzuzwingen, der in jeder Hinsicht bequem und benutzerfreundlich sein mag, nur nicht für die Halswirbelsäule. Versuchen Sie mal, die ganze Göttliche Komödie an einem Bildschirm zu lesen, auch bloß eine Stunde pro Tag, und dann sagen Sie mir, wie es war.
    Das Buch zum Lesen gehört zu jenen Wundern einer vollendeten Technologie, zu denen auch das Rad, das Messer, der Löffel, der Hammer, der Topf und das Fahrrad gehören. Das Messer ist schon sehr früh erfunden worden, das Fahrrad erst ziemlich spät. Aber so sehr sich die Designer auch bemühen, irgendein Detail zu verändern, im Kern bleibt das Messer immer dasselbe. Es gibt Maschinen, die den Hammer ersetzen, aber für bestimmte Dinge wird man immer etwas brauchen, was dem ersten jemals auf Erden erschienenen Hammer gleicht. Man kann ein überaus raffiniertes Gangschaltungssystem erfinden, aber das Fahrrad bleibt, was es ist: zwei Räder, ein Sattel, Lenker, Pedale. Sonst heißt es Moped und ist eine andere Sache.
    Jahrhundertelang hat die Menschheit zum Lesen und Schreiben erst Stein, dann Tontafeln, dann Papyrusrollen benutzt, aber es war eine mühsame Arbeit. Als sie entdeckte, daß man Bögen zusammenbinden kann, auch wenn diese noch handbeschrieben waren, stieß sie einen erleichterten Seufzer aus. Und sie wird niemals wieder auf diese wunderbare Erfindung verzichten.
    Das Format des Buches wird durch unsere Anatomie bestimmt. Es kann sehr große Bücher geben, aber meistens haben sie dokumentarische oder dekorative Funktion. Das Standardbuch darf nicht kleiner als eine Zigarettenschachtel und nicht größer als eine Nummer des Espresso sein. Seine Größe ist abhängig von den Dimensionen unserer Hand, und diese haben sich - zumindest bisher - trotz Bill Gates nicht geändert.
    Gewiß verspricht uns die Technik Maschinen, mit denen wir am Computer die Bibliotheken der ganzen Welt durchsuchen können, um die uns interessierenden Texte zu nehmen, sie in der von uns gewünschten Schrift auszudrucken, je nach dem Grad unserer Altersweitsichtigkeit und unseren ästhetischen Vorlieben, wobei schon der Drucker uns die Bögen sortiert und zu Broschüren bindet, so daß sich jeder seine persönlich gestalteten Werke zusammenstellen kann. Ja und? Eines Tages werden die Setzereien, die Druckereien, die traditionellen Buchbindereien verschwunden sein, aber wir werden noch immer und immer wieder ein Buch in der Hand halten.
    1994
Bücherlesen mit den Fingerkuppen
    Eine häusliche Bibliothek ist nicht nur ein Ort, an dem Bücher versammelt werden; sie ist auch ein Ort, der sie für uns liest. Wie ich das meine? Nun, ich denke, jedem von uns, der eine gewisse Anzahl von Büchern besitzt, ist es widerfahren, sich jahrelang Gewissenbisse gemacht zu haben, weil er einige Bücher noch nicht gelesen hatte, die ihn jahrelang vorwurfsvoll vom Regal herab ansahen, als wollten sie ihn an seine Vergeßlichkeit erinnern.
    Eines Tages nimmt man dann eines dieser Bücher zur Hand, beginnt zu lesen und entdeckt, daß man schon fast alles kennt, was darin steht. Für dieses sonderbare Phänomen, das sicherlich viele bezeugen können, gibt es nur drei vernünftige Erklärungen. Erstens: Im Lauf der Jahre hat sich durch die verschiedenen Berührungen, wenn wir das

Weitere Kostenlose Bücher