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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß

Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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als albernen Strahlemann, als Buckligen von Notre-Dame, als stolpernden, stammelnden Zwerg oder allzeit bereiten Kretin – in einem Land, in dem die Vorbildfiguren würdige Herren im dunklen Zwei-reiher waren, die bei Straßen- und Brückeneröffnungen Bänder durchschnitten und sich mit elaboriert-unverständlichen Sätzen ausdrückten. Damals hatte La Corrida ein begrenztes Publikum, das sich aus Freunden grober Studentenwitze und sadistisch grundierten Voyeu-ren zusammensetzte.
    Heute hingegen spiegelt die Sendung voll und ganz den Zustand wider, in dem sich Italien befindet. Sie spiegelt seine Etikette wider, die Benimmregeln in einer Zweiten Republik, die aus lauter sich produzierenden Dilettanten besteht, aus Leuten, die ihre politische Unkultur vorführen, sich mit verstümmelten Sätzen, schiefen Metaphern, Barbarismen, falschen Zitaten und fehlerhafter Sprache hervortun und vor allem das traditionelle Politchinesisch nicht mit der gewöhnlichen Sprache, sondern mit dem Zo-tenreißen vertauscht haben, die Polemik mit der Beleidi-gung, den Fachausdruck mit dem derben Wort, und die im Glauben, sie sprächen so, wie sie essen, in Wahrheit so reden, wie sie rülpsen.
    Die gewöhnlichen Leute ( la gente ,was früher als Belei-digung aufgefaßt worden wäre: »Ich gente ?Ihre Frau Mutter ist vielleicht gente !«)versuchen ihrerseits, sich diesem neuen Stil anzupassen, und lechzen danach, im Fernsehen 70
    aufzutreten, wo sie dann ihre rasch zusammengeschusterte Bildung zeigen, für Verhaltensweisen gelobt werden, die früher nur in einem Psychiatrieseminar studiert worden wären, ihre Familienmiseren ausbreiten und Beifall bekommen, wenn sie sich so benehmen wie jener Typ, der sich nuschelnd und stotternd darüber beklagt, daß er nicht als Radiosprecher genommen worden ist – wie er glaubt, weil er ein Gummihütchen auf einem in der Tür ge-quetschten Finger trägt, weshalb er immerfort wiederholt:
    »Wegen einem Hütchen, wegen einem Hütchen …«
    In Barcelona gab es einmal (und gibt es, wie ich höre, noch immer, aber inzwischen sind die großen Interpreten verschwunden) die Bodega Boemia, eine Art Zimmerthea-ter, in dem sich allerlei Leute zur Schau stellten (beziehungsweise dazu gebracht wurden, sich zur Schau zu stellen, indem man ihnen einredete, sie seien noch immer hochbeliebte Künstler): betagte Theaterveteranen, asthma-tische achtzigjährige Sänger, von Arthritis geplagte fast hundertjährige Tänzerinnen, Soubretten, die nur aus Hei-serkeit und Zellulitis zu bestehen schienen, und so weiter.
    Das Publikum – ein Drittel Nostalgiker, ein Drittel Horror-freaks und ein Drittel snobistische Intellektuelle, die das Theater der Grausamkeit zelebrierten – klatschte sich die Hände wund, neigte in den erregtesten Momenten dazu, auf den Pianisten zu schießen, und die Ausführenden waren glücklich, weil sie spürten, daß die Zuschauer in gewisser Weise auf ihrer Seite waren, mit ihnen, für sie, wie sie.
    Das öffentliche Leben in Italien scheint manchmal sehr ähnlich dem der Bodega Boemia, es dominieren der Schrei und die Wut, die Unbeherrschtheit, die Ohrfeige, der Schaum vor dem Mund, und die Leute neigen immer mehr dazu, den Ereignissen so zu folgen wie einem Horrorspek-takel mit buckligen Zwergen und noch aktiven, aber krampfadrigen Tänzerinnen. Warum also sollten wir uns 71
    über den Erfolg von La Corrida wundern? Die Sendung kommt als die Quintessenz alles übrigen daher, sie sagt uns immerfort, wer wir sind und was wir wollen, sie zelebriert nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
    Auf der anderen Seite ist sie auch der Triumph der Political Correctness und hat sich als Modell auch für »seriö-
    sere« Sendungen angeboten.
    Das traditionelle komische Theater spekulierte stets mit dem Krüppel, dem Blinden, dem Stotterer, dem Klein-wüchsigen und dem Fettleibigen, dem Trottel, dem
    Schwachsinnigen und denen, die als schmachvoll geltende Berufe ausübten oder zu als minderwertig geltenden ethnischen Gruppen gehörten.
    All das ist heute tabu geworden: Nicht nur die Nachah-mung des wehrlosen Ausgestoßenen wird als beleidigend angesehen, selbst Molière könnte heute nicht mehr iro-nisch über die Ärzte herziehen, ohne daß sofort eine Liga zur Verteidigung derselben wütend gegen die versuchte Diffamierung protestierte.
    Daher mußte eine Lösung gefunden werden, und sie
    wurde gefunden. Man kann den Dorftrottel nicht mehr ka-rikieren, das wäre antidemokratisch, aber es ist überaus

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