Des Abends eisige Stille
hinaus in den Garten. Martha hat nie etwas davon gesehen, dachte Meriel, nichts davon, weder das Haus, noch den Garten oder das umliegende Land. Es hätte ihr Zuhause sein sollen, war es aber nie.
Sie erinnerte sich an Marthas Geburt. Während der Schwangerschaft hatte sie gewusst, dass irgendetwas nicht stimmte, und es einmal ihrem Mann zu sagen versucht, der es als Einbildung abtat, sie darauf hinwies, dass sie kerngesund war und ihre ersten Kinder leichter bekommen hatte, als es jeder Frau, die Drillinge austrug, zustand.
Sie hatte sich das angehört und es trotzdem gewusst. Als sie es Jahre später Cat erzählte, war ihre Tochter nicht überrascht gewesen. »Natürlich, das passiert. Du wusstest es. Du hattest recht.«
Aber der Anblick des Kindes hatte sie trotzdem erschreckt. Schlaff und reglos hatte es dagelegen, der Kopf zu groß, die Haut bleich und klamm. Die Ärzte hatten sich bemüht, sie zum Atmen zu bringen, was sie nicht hätten tun sollen, genauso wenig, wie all die Ärzte über die Jahre sie nicht vor Mumps und Masern, Bronchitis und Mittelohrentzündungen und jedem anderen Versuch Gottes oder der Natur, ihr Leben zu beenden, hätten bewahren sollen.
Das war stattdessen ihr überlassen worden.
Sie hatte ihr nicht einfach »Behandlung vorenthalten«. Bei manchen alten Menschen wurde »Nicht reanimieren« in der Krankenakte vermerkt, warum dann nicht bei jenen wie Martha?
Sie hatte ein Leben genommen. War das Mord? Sie wusste es nicht. Aber bei dem Wort »töten« gab es keine Zweideutigkeit.
Ihr Kopf war klar, ihr Geist ruhig. Sie fühlte sich ausgeruht. Der Anblick des vom Mond erhellten Gartens war Balsam für sie. Was sie getan hatte, würde sie wieder tun. Das wusste sie. Sie war jetzt eins mit sich.
Sie schüttelte ihr Bett auf und glättete die Kissen. Ein Mondstrahl fiel durch den Spalt, den sie im Vorhang offen gelassen hatte, auf den hellblauen Teppich.
Abrupt, als sei er aus tiefster Tiefe hochgekommen, erwachte Richard, setzte sich auf und sagte ihren Namen.
»Ist schon gut. Schlaf weiter.«
Er starrte sie an. »Erinnerst du dich an das, was du mir erzählt hast?«
»Liebling, du bist gar nicht wach … Es ist drei Uhr morgens.«
»Du hast mir erzählt, dass du Martha ermordet hast.«
»Das Wort habe ich nicht benützt.«
Er sank zurück auf die Kissen und drehte seinen Kopf leicht, damit er sie nicht sah.
»Richard …«
»Du musst zur Polizei.«
»Nein«, sagte sie.
»Jemand muss es tun.«
»Wirst du es tun?«
Er antwortete nicht. Der Mond verschwand hinter einer Wolke. Meriel wartete, lag auf dem Rücken, genau wie er. Wie die Hochreliefs auf einem der Grabmäler in der Kathedrale. Sie sah sie beide so – kalt, grau und stumm im Tod.
Schließlich, während sie noch auf seine Antwort wartete, schlief sie so ein, die Hände an der Seite, und der Mond kam heraus und versilberte das Zimmer erneut, und der Abstand zwischen den beiden Betten war so breit wie die ganze Welt.
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42
E s war der Geruch. Andy Gunton saß auf der Bank in einer Zelle des Polizeireviers von Lafferton und roch ihn. Polizeireviere. Gerichte. Und danach die Gefängnisse. Sie rochen. Sie rochen alle anders, aber man erkannte sie mit geschlossenen Augen, und während er da saß, spürte er, wie Wut und Scham und Erinnerung und Selbstverachtung über ihm zusammenschlugen, Welle auf Welle. Es war vier Uhr morgens. Man hatte ihm einen Plastikbecher mit Tee gebracht und ihn allein gelassen, und selbst die Art, mit der der Constable den Becher vor ihn hinstellte, verriet Andy etwas darüber, wie er hier gesehen wurde.
Er legte den Kopf auf die Arme. Du hast es versaut, sagte er sich. Du hast es versaut. Du verdammter, blöder Idiot. Was hast du erwartet, wenn du für Lee Carter arbeitest, außer hier zu landen? Er hasste und verachtete sich so sehr, dass er sich am liebsten umgebracht hätte, wenn das möglich gewesen wäre. Hatte er aus den viereinhalb Jahren Knast denn gar nichts gelernt?
Er sah, wie es passiert war, immer und immer wieder, und es gab niemanden, dem er die Schuld geben konnte. Er hatte nichts übriggehabt für diejenigen, die ständig zurückkamen, bis sie nichts anderes mehr als den Knast kannten, aber er hatte sich in einen von ihnen verwandelt, ohne es kommen zu sehen.
Er wollte weinen, weinte auch kurz, doch dadurch verachtete er sich nur noch mehr. Michelle würde ihn hinauswerfen. Er begriff, wie man zum Obdachlosen wurde, in Ladeneingängen schlief. Dann war’s schon
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