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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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besser im Knast. Drei Mahlzeiten und ein halbwegs anständiges Bett. Auf jeden Fall besser.
    Er fragte sich, wann sie kommen würden. Eine halbe Stunde, vierzig Minuten lang schaute er auf die Uhr. Danach drehte er sich um, mit dem Gesicht zur Wand, und schlief unruhig ein.
     
    Simon Serraillers Arm war geröntgt und verbunden, seine Hand gesäubert worden, und dann hatte man ihn nach Hause ins Bett geschickt. Aber er wusste, wenn er das tat, würde er das Schmerzmittel nehmen, das man ihm mitgegeben hatte, und am Morgen halbbetäubt, steif und zerschlagen aufwachen und sich nicht bewegen wollen. Er bat den Taxifahrer, ihn aufs Revier zu fahren.
    »Geht es Ihnen wirklich gut genug, um hier zu sein, Chef?« Der Diensthabende musterte ihn.
    »Alles bestens. Ich verhöre Gunton, sobald Nathan kommt, dann geh ich heim. Gibt’s noch Tee?«
    »Klar.«
    Simon stieg langsam die Treppe hinauf. Nachts war das Revier ein seltsamer Ort, größtenteils still und ruhig, besonders hier oben, bis auf den gelegentlichen Tumult von unten, wenn die Betrunkenen gebracht wurden und gegen ihre Zellentüren hämmerten.
    Er knipste seine Tischlampe an und zog die Jalousie hoch. Im Hof warfen die Laternen bernsteinfarbene Lichtpfützen auf den Asphalt.
    Sein Arm schmerzte.
    Er hatte das starke Gefühl, dass es sich bei dem Jaguar XKV um ein gestohlenes Fahrzeug handelte und die Verfolgung zum Flugplatz das erste Stadium in der Aufdeckung einer größeren Operation war, in die viele Menschen verwickelt waren; es würde sich herausstellen, dass die Tentakel weit über Lafferton hinausreichten. Aber er war sich ebenfalls ziemlich sicher, dass weder das Auto noch der Fahrer irgendetwas mit David Angus zu tun hatten.
    Er stellte sich vor die Karte an der Wand. Lafferton und der Bezirk. Die Kathedrale. Die Altstadt. Der Hügel. Sorrel Drive. Mit den Augen folgte er von dort, wo der Junge vor seinem Haus gestanden hatte, den wegführenden Straßen. Jedes Auto, das die Stadt verlassen wollte, wäre am Ende des Sorrel Drive nach rechts abgebogen und innerhalb von drei Minuten auf der Bevham Road gewesen, wo es entweder weitergefahren oder über den Kreisverkehr eine der Umgehungsstraßen genommen hätte, nach Osten oder Westen. Innerhalb von zwanzig Minuten hätte es die Autobahn erreicht.
    Er sah sich das Raster an, das sich vom Sorrel Drive ausbreitete, über den Hügel, den Kanal, den Fluss, die Parks, den alten Eisenbahntunnel und so weiter, bis hinaus aufs Land. Inzwischen war jeder offensichtliche Abladeplatz, jedes Versteck für eine Leiche durchkämmt worden. In der Nähe von Starly hatte man tatsächlich eine Leiche gefunden – die eines älteren Mannes, der seit zehn Tagen vermisst wurde. Er hatte nicht weit vom auf der Hauptstraße vorbeirauschenden Verkehr gelegen, war aber eines natürlichen Todes gestorben.
    Von David Angus gab es keine Spur.
    Simon setzte sich wieder an den Schreibtisch und versuchte die Schmerzen zu verdrängen, die jetzt in seine Schulter gezogen waren, wie der Arzt vorausgesagt hatte. »Da sind Sie aufgeprallt, als Sie sich weggerollt haben. Sie haben verdammtes Glück gehabt, dass die Schulter nicht gebrochen ist.« Es fühlte sich aber so an.
    Irgendwo verbarg jemand die Leiche des Jungen oder hatte sich ihrer entledigt. Wenn ein Entführer sich ein Kind schnappte, wurde es zu einer Belastung, je länger es am Leben blieb. Ein neunjähriger Junge, redegewandt, wach und aufmerksam, wäre eine äußerst bedrohliche Belastung für einen Entführer, jemand, der fähig war, zu beschreiben, zu identifizieren und sich zu erinnern. Wer auch immer David Angus entführt hatte, kannte ihn möglicherweise nicht und war vielleicht noch nie in Lafferton gewesen. Er hatte ihn gesehen, gepackt und war davongerast. Dann …
    Simon starrte auf das Blatt Papier vor sich. Es war leer. Kein Anhaltspunkt, kein Hinweis, keine Beweise, keine Spuren, keine Ergebnisse. Leer.
    Er befürchtete, dass es für immer leer bleiben würde.

[home]
    43
    S ie weckten ihn mit einem Becher Tee und einem durchgeweichten Schinkenbrötchen. Er fühlte sich verkrampft und steif. Der Himmel hinter dem hoch oben angebrachten Zellenfenster war grau und sah tot aus. Er wurde gefragt, ob er jemanden anrufen wollte, aber er verneinte. Er überlegte, was wohl auf dem Flugplatz passiert war. Was Lee Carter machte. Was Lee Carter machen würde. Es war sicherer, hier drinnen zu sein.
    Großer Gott. Hier drinnen. Ungläubig sah er sich um. Was hatte er gesagt?

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