Des Abends eisige Stille
deine Million Pfund wirst du nie sehen.«
»Warum musst du immer so negativ sein? Du solltest den Menschen vertrauen, Richard.«
»Manchen vertraue ich.«
»Wem?«
»Dir.«
Sie sah ihn erstaunt an, und etwas in ihrem Magen krampfte sich zusammen.
»Natürlich tu ich das.« Richard Serrailler goss Wasser in die Kanne und schloss den Deckel. »Dich kenne ich. Diesen Yankee nicht. Leute wie der holen sich ihren Kick durch Machtdemonstrationen. Geld wird keines kommen.«
Er nahm das Tablett. Er wollte, dass sie widersprach, sich mit ihm stritt. Das genoss er am meisten. Normalerweise hätte sie es getan, teilweise, um ihn bei Laune zu halten, teilweise, weil sie an George Caxton Philips und seine Million glaubte.
»Du hast ihn nicht kennengelernt«, sagte sie leise.
»War auch nicht nötig.«
Sie ließ sich nicht darauf ein. Sie zitterte.
Gemeinsam kehrten sie in das kleine Wohnzimmer zurück.
In diesem Moment, als sie hinter ihm herging, wusste sie, was sie tun würde.
Sie hatte gedacht, sie könnte die Last bis zu ihrem Lebensende alleine tragen, und wenn er nicht gesagt hätte, dass er ihr vertraute, hätte sie das wohl auch getan. Warum nicht? Sie empfand keine Schuldgefühle. Sie empfand Bedauern, aber mit Bedauern konnte sie leben. Bedauern gehörte zum Gewebe ihres Lebens. Doch jetzt hier zu sitzen, in diesem stillen Zimmer, zu beobachten, wie ihr Mann die Porzellantasse mit dem blaugoldenen Rand an den Mund hob, zu sehen, wie sich seine Hand darum bog, wie er beim Schlucken die Augen schloss, nein, sie konnte es nicht mehr allein tragen.
Die Uhr hatte ein weißes Porzellanzifferblatt und schmale goldene Zeiger. Ein Hochzeitsgeschenk von einem Freund ihrer Mutter, vor dreiundvierzig Jahren. Als Meriel sie jetzt betrachtete, schien die Uhr zu wachsen und sich zu verzerren, das Zifferblatt schimmerte, starrte sie dann wütend an, die goldenen Zeiger loderten, als würden sie brennen. Die blassgrüne Tapete dahinter waberte.
Sie atmete mehrfach tief ein.
»Ist was mit dir?«
Wenn sie aufstehen, in die Küche zurückgehen und dort für ein paar Augenblicke allein sein könnte, dann würde sie ruhiger werden und sich nicht mehr vor dem fürchten, was sie gleich tun würde. Oder sie würde es gar nicht tun. Sie würde weitermachen. Nichts würde gesagt werden. Sie würde zurückkommen, und alles wäre wieder normal, die Uhr mit dem weißen Zifferblatt ganz vertraut, die grüne Tapete glatt wie immer. Sie konnte nicht aufstehen. Sie konnte nicht einmal ihre Tasse heben. Wenn sie es tat, würde sie den ganzen Tee verschütten, weil ihre Hände so sehr zitterten.
»Ron Oldham ist übrigens gestorben. Wurde heute in der Loge verkündet. Noch einer.« Er goss sich Tee nach. »Fallen alle um wie die Fliegen. Liegt an der Jahreszeit.« Wieder blickte er sie scharf an. »Solltest du nicht besser ins Bett gehen?«
Sie war wie erstarrt, ihre Glieder ineinander verhakt, die Muskeln in ihrem Gesicht, ihrem Hals, ihrem Mund gelähmt. So muss es sein, wenn man einen Schlaganfall hat, dachte sie, wenn man denken kann und weiß, was man sagen will, sagen sollte, aber weder sprechen noch sich bewegen kann. Warten muss, bis einem jemand hilft. Einen hochhebt. Mit einem spricht. Einen füttert. Auszieht. Wie sie es getan hatte.
Die Uhr schlug die Viertelstunde. Sie hat einen hübschen Klang, dachte Meriel. Zart. Das Zimmer schien schwach zu summen, als wäre an unsichtbaren Drähten gezupft worden. Ein wunderschöner Klang.
Sie hatte einen säuerlichen Geschmack im Mund. In ihrer Kehle war ein schleimiger Kloß, den sie weder schlucken noch ausspucken konnte.
Richard Serrailler trank seinen Tee. Sein Kragen war hinten in Unordnung. Er war in seiner Freimaurerloge gewesen, wo sie ihre albernen Verkleidungsspielchen machten und niemand jemals lachte, oder zumindest hatte Meriel das immer geglaubt, denn wenn sie lachen könnten, würden sie sich bei ihrem eigenen Anblick halb totlachen. Er hatte versucht, Simon und Chris zu überreden, ihre Namen eintragen zu lassen. Sie hatten gelacht, alle beide, bis es sie schüttelte. Meriel fragte sich, ob die Freimaurerei noch eine Zukunft hatte.
Plötzlich verstummte das Summen im Zimmer, und der Kloß in ihrem Hals löste sich auf. Sie fühlte sich ganz ruhig.
»Ich muss dir etwas erzählen«, sagte Meriel.
Er antwortete nicht, aber sein Blick blieb stetig auf ihr Gesicht gerichtet.
»Was denkst du jetzt über Martha?«
Er stellte seine Tasse ab. »Was ich über sie
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