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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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neu zu überdenken.«
    »Die im Krankenhaus scheinen zu wissen, was sie tun«, sagte Simon. Doch er wusste, dass das nicht relevant war, nicht für das Thema, dem sie sich jetzt widmen mussten.
    »Natürlich. Die Sache ist … Wie lange wird sie zum Sterben brauchen? Einen Tag? Eine Woche? Je länger sie Antibiotika bekommt und Flüssigkeit und Salbutamol, desto länger wird es sich hinziehen.«
    »Du willst, dass sie mit der Behandlung aufhören?« Cat schenkte sich ein Glas Wasser aus dem Krug vor ihr ein. Sie klang so müde, wie sie aussah. »Ich habe sie diese Woche nicht gesehen, daher ist es schwierig, mir eine Meinung zu bilden. Du warst bei ihr, Chris.«
    »Es
ist
schwierig.«
    »Nein«, sagte Meriel Serrailler, »ist es nicht. Es ist eigentlich ganz einfach. Sie hat jetzt keinerlei Lebensqualität mehr und wird auch in Zukunft keine haben.«
    »Das kannst du so nicht sagen. Wie kannst du das behaupten, woher willst du das wissen?« Simon ballte die Fäuste, bemüht, ruhiger zu sprechen.
    »Du bist kein Arzt.«
    »Was, zum Teufel, hat das damit zu tun?«
    »Si …«
    »Dir fehlt die professionelle Grundlage, ihren Zustand beurteilen zu können.«
    »Schon, aber die menschliche fehlt mir nicht.«
    »Und sagt die dir nicht, dass sie keine Lebensqualität hat? Das ist doch ganz offensichtlich.«
    »Nein, ist es nicht. Wir wissen nicht, was in ihrem Kopf vorgeht, wir wissen nicht, was sie empfindet, was sie denkt.«
    »Sie denkt nichts. Sie hat kein bewusstes Denkvermögen.«
    »Das kann doch nicht stimmen.«
    »Warum?«
    Cat brach in Tränen aus. »Hört auf«, schluchzte sie, »ich kann das nicht ertragen, ich will diesen Streit in meinem Haus nicht …«
    Chris stand auf und trat zu ihr.
    »Offenbar ist im Moment keine vernünftige Diskussion darüber möglich«, sagte Meriel Serrailler. Sie erhob sich, trug ruhig ihre Kaffeetasse zur Spülmaschine und stellte sie hinein. »Ich hätte nicht damit rechnen sollen. Entschuldigt.«
    »Was wirst du jetzt tun?«
    Meriel sah ihren Sohn an. »Nach Hause fahren.«
    »Du hast kein Recht, Entscheidungen über Martha zu treffen, das weißt du.«
    »Ich weiß sehr genau, welche Rechte ich habe, Simon.«
    »Himmel noch mal.« Cat klammerte sich an Chris’ Hand. Tränen liefen ihr über die Wangen.
    »Du solltest ins Bett gehen, Liebling«, sagte ihre Mutter.
    »Red nicht so mit mir, ich bin kein kleines Kind.«
    Meriel beugte sich vor und küsste Cats Kopf. »Nein, du bist schwanger. Ich ruf dich morgen an.«
    Das Telefon klingelte, als sie nach ihrer Handtasche griff. Chris bedeutete Simon, der am nächsten saß, abzunehmen.
    »Wer ist am Apparat?«
    »Simon.«
    »Ja. Ist deine Mutter da?« Richard Serrailler, kurz angebunden wie immer.
    »Sie wollte gerade nach Hause fahren. Willst du mit ihr sprechen?«
    »Sag ihr, dass Keats aus dem Krankenhaus angerufen hat.«
    »Wegen Martha?« Simon spürte die plötzliche angespannte Stille im Raum hinter sich.
    »Ja. Sie hat sich erholt. Sie ist bei Bewusstsein. Ich fahre jetzt hin.«
    »Ich sag es ihnen.«
    Simon legte auf und schaute sich um. Er wollte lachen. Tanzen. Triumphierend brüllen.
    Er sah das Gesicht seiner Schwester, tränenüberströmt, geschwollen, hohläugig.
    »Offenbar geht es Martha wieder besser«, sagte er sanft.
     
    Als er vierzig Minuten später erneut die Station betrat, war er allein. Seine Mutter hatte gesagt, sie könne das Krankenhaus nicht noch einmal ertragen, und Cat war zu erschöpft.
    »Du brauchst nicht hinzugehen«, hatte Meriel Serrailler gesagt. »Niemand von uns muss hingehen. Dein Vater ist da.«
    »Ich möchte sie sehen.«
    Er hatte angenommen, dass sein Vater gegangen sein würde. Ein Treffen mit ihm an Marthas Bett war nicht das, was er gewollt hatte, aber als er ins Zimmer kam, war Richard Serrailler noch da, saß auf dem Stuhl neben Marthas Bett und las in der Krankenakte.
    »Deine Mutter ist nicht mitgekommen?«
    Keine Begrüßung, dachte Simon. Genauso gut könnte ich unsichtbar sein.
    »Sie kommt morgen früh.«
    Er blickte auf seine Schwester hinunter. Ihre Gesichtsfarbe war besser, ein leichter rosiger Schimmer in ihren Wangen.
    »Was ist passiert?«
    Sein Vater reichte ihm die Krankenakte.
    »Sie hat, wie Devereux es ausdrückt, die Konstitution eines Ochsen. Die neuen Antibiotika haben gewirkt, sie ist wieder zu Bewusstsein gekommen … Hat vor einer Stunde die Augen geöffnet. Die Werte sind ermutigend.«
    »Ich nehme an, es könnte einen Rückschlag geben?«
    »Möglich.

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