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Des Abends eisige Stille

Des Abends eisige Stille

Titel: Des Abends eisige Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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Aber unwahrscheinlich. Sobald sie die Krise überwunden hat, rappelt sie sich für gewöhnlich wieder auf.«
    Simon wollte die Hand seiner Schwester berühren, ihre Wange küssen, sie dazu bringen, die Augen erneut zu öffnen, doch solange sein Vater da war, konnte er das nicht tun. Er blieb nur stehen, sah auf das Bett hinunter.
    »Ich bin froh«, sagte er.
    »Warum?«
    »Wie kannst du das fragen? Sie ist meine Schwester. Ich liebe sie. Ich will nicht, dass sie stirbt.«
    »Deine Mutter glaubt, Marthas Lebensqualität sei gleich null.«
    »Ich bin anderer Meinung.«
    »Dann beugen wir uns deinen überlegenen medizinischen Kenntnissen.«
    »Es ist ein Instinkt.«
    »Die Polizei arbeitet also nach Instinkt statt nach Faktenlage?«
    Simon Serrailler war ein Mann, der nicht zu Gewalttätigkeit neigte, obwohl er im Verlauf seiner Arbeit nie Skrupel gehabt hatte, die notwendigen Druckmittel einzusetzen, doch jetzt verspürte er eine Wut gegen seinen Vater in sich aufsteigen, die ihn dazu brachte, die Fäuste zu ballen.
    In Augenblicken wie diesen bekam er einen deutlichen Einblick in den Hass und den Zorn, die manche Menschen zu Gewalt verleiteten. Der Unterschied zwischen ihm und diesen Menschen, das wusste er, war der dünne, aber unendlich starke Draht der Selbstkontrolle.
    »Wann wird es ihr gut genug gehen, um nach Ivy Lodge zurückzukehren?«, fragte er ruhig.
    Richard Serrailler erhob sich. »In ein paar Tagen. Das Bett hier wird gebraucht.«
    Simon stand nicht weit von ihm entfernt. Sein Vater war ein schlanker, gutaussehender Mann, der sechzig hätte sein können statt einundsiebzig.
    »Was empfindest du für sie?«, fragte Simon plötzlich und schaute zu Martha. Er spürte, wie er sich anspannte, als müsse er sich dafür verteidigen, diese Frage überhaupt gestellt zu haben. Doch sein Vater sah ihn an, ohne verärgert zu sein.
    »Ich bin ihr Vater. Ich habe sie seit dem Tag ihrer Geburt geliebt. Ich habe nicht aufgehört, sie zu lieben, auch wenn ich den Tag stets bedauert habe. Wer könnte das? Und du?«
    »Mir geht es genauso«, erwiderte Simon, »aber vielleicht ohne das Bedauern.«
    »Das kannst du leicht sagen.«
    »Leichter.«
    »Wenn du jemals Vater würdest, was du nicht werden wirst, wie ich annehme, dann würdest du es wissen. Gehst du zurück zum Auto?«
    Sie gingen zusammen den stillen Flur entlang. Was sein Vater meinte, was hinter seiner außergewöhnlichen Bemerkung steckte, wie er seinen Sohn jetzt beurteilte, waren Fragen, die Simon im Moment nicht ansprechen konnte. Er verdrängte alle Gedanken und ging einfach weiter aus dem Krankenhaus hinaus und auf den Parkplatz. Dort hielt er seinem Vater die Autotür auf, wartete, bis sich Richard Serrailler hineingesetzt und angeschnallt hatte, sagte gute Nacht und schloss die Tür.
    Zwei Minuten später war er auf der Straße nach Lafferton, die Rücklichter des silbernen BMW seines Vaters vor ihm schon fast außer Sichtweite.
    Er wollte zurück ins Bauernhaus, musste mit Cat reden, aber sie lag sicher schon lange im Bett, versuchte sich in diesen letzten Tagen ihrer Schwangerschaft so gut wie möglich auszuruhen. Er fühlte sich abgetrennt von ihr – von ihnen allen, ein Gefühl, das vergehen würde, sobald das Kind geboren war, und das sowieso größtenteils eingebildet war und ausschließlich von ihm ausging. Das war schon früher passiert – als Cat Chris geheiratet und als sie Sam und Hannah geboren hatte.
    Er bog in den Kathedralenhof. Der breite Weg mit den Grasstreifen zu beiden Seiten und der über ihm aufragenden Kathedrale, die ehrwürdigen Gebäude, blass im Lampenlicht, das weicher war, silbriger als die grellen Lichter um das Krankenhaus und entlang der Hauptstraße, die langen Schatten der Bäume … Er hatte oft gedacht, dass es nachts künstlich wirkte, eine Filmkulisse, zu leer, zu ordentlich, zu sorgfältig arrangiert.
    Aber es passte zu seiner Stimmung. Morgen würde er nicht hierbleiben. Er wusste, wann Einsamkeit zu gefährlich für ihn wurde. Er brauchte seine Arbeit. Und wenn er dadurch einen oder zwei Tage seines Urlaubs verschenkte, war ihm das auch egal.

[home]
    9
    A ndy Gunton trat vom Bürgersteig, und das Auto tauchte aus dem Nichts auf, streifte seinen Körper. Er verlor das Gleichgewicht und fiel in den Rinnstein. Eine Frau begann zu schreien.
    Verkehr, dachte Andy, als er sich hochrappelte, dämliche Autos und Busse, die von allen Seiten auf einen zurasen.
    Die Frau schrie weiter, und aus den Geschäften kamen

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