Des Abends eisige Stille
Leute gelaufen.
»Ich hab eine Erste-Hilfe-Ausbildung, setzen Sie sich.« Das Mädchen, das Andy ansprach, sah aus, als ginge es noch zur Schule.
»Mir ist nichts passiert«, sagte Andy. »Hab nur das Gleichgewicht verloren.«
»Sie könnten einen Schock haben.«
»Hab ich aber nicht.« Er deutete auf die Frau, die ihn anstarrte und immer noch schrie. »Kümmern Sie sich lieber um die. Sie könnte den Schock haben.«
Er klopfte seine Jacke ab, während er rasch davonging und um die Ecke bog. Der Schreck war ihm trotzdem in die Glieder gefahren. Er hatte diesen Teil von Lafferton als ruhig in Erinnerung. Wie konnte der Verkehr hier so zugenommen haben?
Da war ein Pub. Er ging hinein.
Es gab genug Pubs in Lafferton, und Andy hatte viele davon kennengelernt, aber diesen vielleicht nicht. Hier roch es nicht nach Bier und Zigaretten, sondern nach Kaffee. Hinter dem Tresen war ein Spiegel angebracht, und der Barmann, der in seiner schwarzen Jacke eher wie ein Kellner wirkte, rammte Kaffeebehälter aus Metall in eine Espressomaschine.
Andy Gunton bestellte ein Pint Bitter.
»Wir haben nur Flaschenbier.« Der Barmann rasselte eine Liste fremdländischer Namen herunter. Andy entschied sich für irgendeinen.
Er bekam eine Flasche. Kein Glas. Er schaute sich um, hob die Flasche an den Mund.
Niemand an der Bar beachtete ihn. Andy ging an einen leeren Tisch. Es war angenehm. Die Sonne schien ihm in den Nacken.
Er merkte, dass seine Hände zitterten, dass er zu schnell atmete und seine Ohren klingelten, als sei er gerade aus tiefem Wasser aufgetaucht. Die Kneipe versetzte ihn in Panik, genau wie der Verkehr. Lafferton, das sich auf den ersten Blick nicht verändert zu haben schien, war doch anders, kleine Dinge verunsicherten ihn, es kam ihm vor wie das Leben in einer Spiegelwelt, alles leicht verschoben.
Himmel. Was waren viereinhalb Jahre? Ein ganzes verdammtes Leben, die Hälfte seiner Jugend, aber andererseits nichts, nur ein Blinzeln; er wusste nicht, wo er war oder was er hier machte, ebenso gut hätte er auf dem Mars gelandet sein können.
Die Bewährungshelferin hatte tolle Beine in einem sehr kurzen Rock. Langes, glattes, zurückgebundenes Haar. Stark geschminkte Augen. Sie hatte in Rätseln gesprochen, aber das war er gewohnt. Die lernten eine andere Sprache, wenn sie da einstiegen, Sozialarbeiter, Bewährungshelfer, Anwälte, was auch immer. Nur die Schließer sprachen Englisch.
»Ihr Rehabilitationsprogramm wird erst richtig in Gang kommen, wenn Sie einen Job haben, Andy. Sind Sie an irgendwas besonders interessiert?«
Kampfpilot. Gehirnchirurg. Rennfahrer.
»Gärtnerei«, hatte er gesagt. »Ich hab achtzehn Monate lang Gartenbau gemacht.«
»An der Kingswood hat gerade ein neues Gartenzentrum aufgemacht.«
»Ein Gartenzentrum?«
»Ich nehme an, dass die meisten Leute ihre Gärten selbst in Ordnung halten. Ich glaube nicht, dass in Lafferton großer Bedarf an Ihren Fähigkeiten besteht.«
»Mir geht’s um Gemüsegärtnerei. Das ist professionell.« Vor seinem inneren Auge war ein Bild höhergelegter Beete mit jungen Saubohnen und Früherbsen erschienen, die ordentlich angelegten, sandigen Reihen mit winzigen Karotten. Er hatte gelernt, was Hotels und Restaurants jetzt wollten; Frühgemüse, jung geerntet, nicht faserig und ledrig und schlaff vor Alter. Blumenkohl so groß wie eine Babyfaust, nicht wie ein Brautstrauß.
Sie hatte die Papiere auf ihrem Schreibtisch durchgeblättert. War sie älter als er? Nicht wesentlich.
»Sie wohnen bei Ihrer Schwester. Wie finden Sie das, Andy?«
»Wie sie das findet, ist eher die Frage.«
»Haben Sie eine gute Beziehung zu ihr? Zu ihrer Familie?«
»Geht so.«
»Tja, das klingt doch ganz positiv.«
»Nur, bis ich was anderes finde. Was zum Wohnen. Die haben drei Kinder.«
»Sie können sich in die Warteliste für eine Sozialwohnung eintragen.«
»Wie lange kann das dauern?«
»Es gibt leider nur wenige für Alleinstehende.«
»Wo sollen wir denn dann wohnen? Wo wohnen Sie?«
»Wie gesagt, Sie können sich glücklich schätzen, Ihre Familie zu haben, Ihre Schwester scheint Ihnen eine große Stütze zu sein, das ist gut. Sie werden sich nicht ausgeschlossen fühlen.«
»Von was?«
»Ihre Eltern …« Wieder hatte sie in den Papieren geblättert.
»Sind tot. Dad, als ich zwölf war, an Lungenkrebs, Mum, nachdem ich zwei Jahre in Stackton war, und sagen Sie nicht, dass es Ihnen leidtut, denn es tut Ihnen nicht leid, stimmt’s?« Er hatte Wut in
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