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Des Lebens Überfluß

Des Lebens Überfluß

Titel: Des Lebens Überfluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Tieck
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Verbindung von Gebein und Fleisch, von Häuten und Lymphen, von Blut und Feuchtigkeit sich gegenseitig in Tätigkeit setzt, um dem Spiel der Nerven, dem feinen Sinn und noch unbegreiflicheren Geist diesen Genuß des Kusses zuzuführen. Wenn man der Anatomie des Auges folgen will, auf wie Seltsames, Wunderliches, Widriges stößt die Beobachtung, um aus diesem glänzenden Schleime und milchigen Gerinne die Göttlichkeit des Blicks herauszufinden.
    O laß das, sagte sie, das Alles sind gottlose Reden.
    Gottlose? fragte Heinrich verwundert.
    Ja, ich weiß sie nicht anders zu nennen. Mag es die Pflicht des Arztes sein, sich, seiner Wissenschaft zu lieb, aus dieser Täuschung herauszureißen, die uns die Erscheinung und das verhüllte Innere bietet. Auch der Forscher wird aus der Täuschung der Schönheit nur in eine andre Täuschung geraten, die er vielleicht Wissen, Erkennen, Natur betitelt. Zerstört aber bloßer Vorwitz, freche Neugier oder höhnender Spott alle diese Netze und körperlichen Träume, in welchen Schönheit und Anmut gefangen liegen, so nenne ich das einen gottlosen Witz, wenn es überall einen solchen geben kann.
    Heinrich war still und in sich gekehrt. Du magst wohl Recht haben, sagte er nach einer Pause. Alles, was unser Leben schön machen soll, beruht auf einer Schonung, daß wir die liebliche Dämmerung, vermöge welcher alles Edle in sanfter Befriedigung schwebt, nicht zu grell erleuchten. Tod und Verwesung, Vernichtung und Vergehen sind nicht wahrer als das geistdurchdrungene, rätselhafte Leben. Zerquetsche die leuchtende, süßduftende Blume, und der Schleim in Deiner Hand ist weder Blume noch Natur. Aus der göttlichen Schlafbetäubung, in welche Natur und Dasein uns einwiegen, aus diesem Poesieschlummer sollen wir nicht erwachen wollen, im Wahn, jenseit die Wahrheit zu finden.
    Fällt Dir das schöne Wort nicht ein? sagte sie:
    Und wie der Mensch nur sagen kann: »Hier bin ich;« Daß Freunde seiner schonend sich erfreun! –
    Sehr wahr! rief Heinrich! – Selbst der vertraute Freund, der Liebende, muß den geliebten Freund schonend lieben, schonend das Geheimnis des Lebens mit ihm träumen, und in gegenseitiger inniger Liebe die Täuschung der Erscheinung nicht zerstören wollen. Es gibt aber so plumpe Gesellen, die unter dem Vorwande, der Wahrheit zu leben und einzig ihr zu huldigen, nur Freunde haben wollen, um etwas zu besitzen, was sie nicht zu schonen brauchen. Nicht bloß, daß diese Gesellen immerdar mit schlechtem Witz und Schraubereien in den sogenannten Freund hineinbohren: auch dessen Schwächen, Menschlichkeiten, Widersprüche sind der Gegenstand ihrer lauernden Beobachtung. Die Grundlage des menschlichen Daseins, die Bedingungen unsrer Existenz sind aber nun so feine und leise Schwingungen, daß grade diese von jenem hartfäustigen Kameraden in plumper Berührung nur Schwächen genannt werden. Es muß sich nun bald ergeben, daß alle Tugenden und Talente, wegen welcher man anfangs diesen Freund verehrte und aufsuchte, sich in Schwächen, Fehler und Torheiten verwandeln, und widersetzt sich endlich der edlere Geist und will die Mißhandlung nicht länger erdulden, so ist er nach dem Ausspruch der Rohen eitel, eigensinnig, rechthaberisch; er ist Einer, der zu kleinlich fühlt, um die Wahrheit ertragen zu können; und die Gemeinsamkeit wird endlich aufgelöst, die sich niemals hätte zusammenfinden sollen. Wenn es sich aber mit Natur, Menschen, Liebe und Freundschaft so verhält, wird es wohl auch mit jenen mystischen Gegenständen, dem Staate, der Religion und der Offenbarung nicht anders sein. Die Einsicht, daß einzelne Mißbräuche da sind, die der Verbesserung bedürfen, gibt noch kein Recht, das Geheimnis des Staates selbst anzurühren. Will man die religiöse Ehrfurcht vor dieser mächtigen, übermenschlichen Zusammensetzung und Aufgabe, durch welche der Mensch in vielfach geordneter Gesellschaft nur zum echten Menschen werden kann, will man jene heilige Scheu vor Gesetz und Obrigkeit, vor König und Majestät, zu nahe an das Licht einer vorschnellen, oft nur anmaßlichen Vernunft ziehen, so zerstäubt die geheimnisvolle Offenbarung des Staates in ein Nichts, in Willkür. Ist es mit der Kirche, der Religion, der Offenbarung und diesen heiligen Geheimnissen anders beschaffen? Auch hier muß eine stille Dämmerung, ein zartes Gefühl der Schonung das Heiligtum umschweben. Weil es heilig und göttlicher Natur ist, ist auch nichts so wohlfeil, als mit frechem Witz der

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