Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
jener Arbeitnehmer, die ihre tatsächliche oder vermeintliche Machtposition innerhalb eines Unternehmens oder einer
Branche ausnutzen, um den wirtschaftlichen Erfolg für sich zu beanspruchen. Diese Haltung scheint vor allem im Finanzwesen
weit verbreitet zu sein. Dazu fällt bestimmt jedem Leser etwas ein!
Vor dem Hintergrund dieser Werthaltung sollte auch die neue Wirtschaftspolitik |224| agieren. Anders als in der Vergangenheit sollten die Verantwortlichen es als Manko ansehen, wenn die Lohnentwicklung jahrelang
hinter der Produktivitätsentwicklung zurückbleibt. Das ist nämlich kein Anlass, um die Bescheidenheit der Arbeitnehmer zu
loben. Es ist vielmehr ein Grund, sich um die gesamtwirtschaftliche Stabilität Sorgen zu machen – wir müssen darüber nachdenken,
welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen dazu beitragen könnten, die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer zu stärken. All
das wurde im vergangenen Jahrzehnt geradezu sträflich vernachlässigt.
Triebkräfte des Wandels: demografische Entwicklung und europäische Integration
Es gibt da auch noch eine interessante Entwicklung. Die Wende zu einer integrativen wirtschaftspolitischen Ordnung, die gegen
Ungleichheit angeht, ist mittlerweile nicht mehr nur als Ergebnis einer freiwilligen wirtschaftspolitischen Zeitenwende denkbar.
Sie wird wahrscheinlich erzwungen. Zwei Faktoren wirken in diese Richtung. Der erste ist die demografische Entwicklung, der
zweite die europäische Integration. Beide möchte ich näher beleuchten.
Die demografische Entwicklung führt schon seit einigen Jahren zu einer allmählichen Abnahme des Arbeitsangebots. Diese Grundtendenz
ist bereits seit Ende der 1990er Jahre erkennbar, damals wurde sie jedoch durch eine starke Zuwanderung vor allem aus dem
krisengeschüttelten Balkan noch mehr als ausgeglichen. Mittlerweile ist die Zuwanderung nicht nur zum Stillstand gekommen,
sondern es lässt sich sogar eine leichte Abwanderungstendenz feststellen. Das verstärkt den demografischen Trend noch einmal.
Auf dem Arbeitsmarkt zeigt sich das als eine allmählich zunehmende Knappheit an Arbeitskräften. Sie ist vor allem in Ostdeutschland
spürbar, das über den allgemeinen Trend hinaus zusätzlich Arbeitskräfte durch die binnenwirtschaftliche Wanderung von Ost
nach West verliert. Die Klagen der Unternehmen über einen Mangel |225| an Facharbeitern mögen zwar angesichts der immer noch hohen Arbeitslosigkeit und einer Unterbeschäftigung von Menschen auf
Teilzeitstellen oder in prekären Arbeitsverhältnissen voreilig sein. In Zukunft werden sie aber vermutlich berechtigt sein.
Allein die Aussicht auf einen Mangel an Arbeitskräften wird das Verhalten der Unternehmen gegenüber ihren Mitarbeitern grundlegend
ändern. Deren Verhandlungsposition und die der Gewerkschaften werden sich erheblich verbessern. Diese Trendwende wird – welch
eine Ironie – durch die Politik der Lohnzurückhaltung in den vergangenen Jahren noch beschleunigt. Das haben sich die Arbeitgeber
damals wohl ganz anders gedacht. Das Pendel schwingt heftig zurück.
Die Zurückhaltung bei den Löhnen erhöhte ständig die Wettbewerbsfähigkeit der Exporte aus Deutschland auf den Weltmärkten,
insbesondere innerhalb des Euroraums. Das hat zu wachsender Nachfrage nach Produkten aus Deutschland geführt, und zugleich
haben sich die Unternehmen in Deutschland immer mehr zu den Auslandsmärkten hin orientiert. Zum einen trafen sie dort auf
eine dynamische Nachfrage nach ihren Produkten. Zum anderen war, ebenfalls als Folge der schwachen Lohnzuwächse, der Binnenmarkt
in Deutschland alles andere als dynamisch, sodass dort nur geringe Absatzchancen bestanden.
Damit beschritt die deutsche Wirtschaft einen Sonderweg im Außenhandel. Anders als in fast allen größeren europäischen Volkswirtschaften,
in denen die außenwirtschaftliche Verflechtung im Zuge der Globalisierung allmählich zunahm, machte die deutsche Wirtschaft
in den vergangenen 15 Jahren einen Quantensprung. Ihre Exportquote verdoppelte sich in dieser Zeit nahezu. 62 Gemessen an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung besteht nun also ein fast doppelt so großer Anteil aus Auslandsnachfrage.
Diese Tendenzen weisen ansonsten nur kleinere Volkswirtschaften wie Österreich oder die Niederlande auf.
Dieser hohe Anteil an Auslandsnachfrage hat massive Konsequenzen für die künftige Produktion und Beschäftigung. Sie führt
vor dem Hintergrund der
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