Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
stabile Situation insbesondere innerhalb des Euroraums,
da die Handelsungleichgewichte zumindest aus deutscher Sicht abgebaut würden. Denn anders als früher kämen die Früchte des
Exports breiten Schichten der Bevölkerung zugute, sie blieben nicht im Portefeuille der Unternehmen oder ihrer leitenden Angestellten.
Ein Teil dieser erhöhten Einkommen würde für importierte Güter ausgegeben und damit zu steigenden Importen führen. Der Überschuss
im Außenhandel würde sich vermindern, zugleich würde sich das binnenwirtschaftliche Wachstum beschleunigen. Der Schlüssel
für diesen wirtschaftlichen Wandel liegt in der Machtposition der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften. Die demografische Entwicklung
ist auf ihrer Seite. Das alles klingt doch sehr gut – was sagt die Politik dazu?
Vorsicht: Märchenerzähler unterwegs
Mit der kräftigen wirtschaftlichen Erholung im Verlauf des Jahres 2010 beginnt eine neue Zeit der Märchenerzähler und Mythenbildner.
Sie reisen durch die Lande und erzählen den Menschen, wie gut doch alles sei und wie sehr diese Erfolge der vorausschauenden
Politik aus der Zeit vor der Krise zu verdanken seien, wobei das Wort »Krise« in ihren Erzählungen meist nicht vorkommt. Gemeint
ist, dass die Arbeitsmarktreformen und die Schuldenbremse dazu geführt hätten, dass die Wirtschaft sich so schnell erholt
und die Staatsfinanzen in Deutschland sich im Vergleich zu anderen Ländern relativ |229| günstig darstellen. Die Botschaft lautet im Kern: Wir müssen die Vorkrisenpolitik fortsetzen. Diese Denkweise zeigt sich bereits
deutlich in vielen Maßnahmen der Bundesregierung. So wird die Gesundheitsreform wegen der in ihr enthaltenen Pauschalbeträge
die Ungleichheit verschärfen. Gleiches gilt für das Sparpaket, das primär zulasten von Arbeitslosen geht, anstatt den Finanzsektor
fühlbar am Schuldendienst zu beteiligen.
Ich meine, das ist der Weg zur nächsten Krise. Denn kehren wir zu den Praktiken der Vorkrisenzeit zurück, werden wir auch
in Zukunft globale Ungleichgewichte haben und die weltweite Ungleichheit wird sich verschärfen. Damit wäre der Keim für die
nächste Krise gelegt, wie auch immer sie sich Ausdruck verleihen mag. Und dann wird sich erweisen, dass wir immer noch nicht
gelernt haben, mit fundamentalen Unsicherheiten umzugehen. Das ist ein hoher Preis für eine ohnehin schale Rechtfertigung
vergangener wirtschaftspolitischer Strategien. Das geht auch anders: wenn wir nämlich den Märchenerzählern und Mythenbildnern
einfach nicht mehr glauben. Schließlich haben ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen uns in die Krise geführt.
Ein besserer Weg
Statt der alten Märchen benötigen wir eine neue wirtschaftliche Ordnung. Dann würden sich die Fehlentwicklungen des vergangenen
Jahrzehnts gleichsam von selbst korrigieren. Angemessen wäre es, wenn die Wirtschaftspolitik diesen Pendelschwung konstruktiv
begleiten, ihn vielleicht sogar beschleunigen würde. Wie das geht? Indem sie all das macht, was ich in den vorigen Kapiteln
vorgeschlagen habe. Dann würden sich die positiven Trends schneller und möglicherweise reibungsloser vollziehen. Es ist sogar
zu erwarten, dass die neue wirtschaftliche Ordnung sich zumindest einige Zeit lang selbst reproduziert. Wenn erst einmal die
Lohnzuwächse auf einem guten Weg nach oben sind, werden sie diesen so schnell nicht wieder verlassen. Die Gewerkschaften würden
das als Rückfall und Zeichen von |230| Erfolglosigkeit betrachten. Den Unternehmen wird es trotz leicht verminderter Renditen in einem Umfeld, in dem sie außenwirtschaftlich
wettbewerbsfähig sind und gleichzeitig die Binnenwirtschaft blüht, nicht schlecht gehen. Sie sind daher zu Lohnzugeständnissen
bereit.
Wird es so kommen? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Es wird aber auch heftige Widerstände geben, die den Wandel verzögern
oder vielleicht sogar verhindern können. Die Protagonisten der vorherrschenden ökonomischen Lehre werden Zeter und Mordio
schreien, da ihnen jede Löhnerhöhung als Vorbote des ökonomischen Untergangs erscheint – selbst wenn sie das angesichts der
Knappheit von Arbeitskräften marktwirtschaftlich nicht begründen könnten.
Die Wirtschaftspolitik dürfte den Wandel gleichfalls ablehnen, da die Bundesregierung im Kern den Status quo ante Krise mit
möglichst wenigen Modifikationen anstrebt. So wird die außenwirtschaftliche Anpassungslast von der Bundesregierung und der
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