Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Zuverdienstregelungen für Hartz-IV-Empfänger. Sie dürfen nur wenig hinzuverdienen,
damit sie nicht mit entsprechenden Abzügen vom Regelsatz bestraft werden. Das schafft einen ernormen Anreiz, nur minimal bezahlte
Jobs anzunehmen, die sich im Rahmen von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen bewegen. Auch die Aufstockerregelung wirkt
dämpfend auf den Lohn. Daraus ergibt sich das Sparpotenzial des Staates, in dem ein Mindestlohn eingeführt wird. Mit einem
Mindestlohn dürften die Einkommen rasch über der Hartz-IV-Grenze liegen. Also entfällt die Verpflichtung des Staates, den
Lohn aufzustocken. Würde man außerdem die Zuverdienstregelungen ändern, |222| sodass die Betroffenen einen Mindestbetrag hinzuverdienen müssten, um keine Abzüge zu erhalten, entfiele auch dieser Anreiz,
die Löhne zu drücken.
Mein Fazit: Die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns kann die Verteilung der Einkommen gerade am unteren
Ende nach oben stauchen. Zugleich steigt die Sicherheit derjenigen, die über eine noch halbwegs rentable Beschäftigung verfügen.
Sie wissen nun, dass sie nicht ins Bodenlose fallen, wenn sie ihre Stelle einmal wechseln müssen. Eine minimale Entlohnung
ist gesetzlich garantiert. Vor allem aber trägt der Staat mit der Einführung eines Mindestlohns den gesellschaftlichen Veränderungen
der vergangenen beiden Jahrzehnte deutlich Rechnung. Der Verbandskorporatismus der deutschen Tariflandschaft ist fast überall
untergegangen. Das mag man bedauern, aber es ist so und wir müssen mit den neuen Verhältnissen zurechtkommen – und sie gestalten.
Steht eine Zeitenwende bevor?
Die geschilderten einzelnen Maßnahmen wirken alle in Richtung mehr Gleichheit. Sie sind im Prinzip geeignet, die Krisenquelle
Ungleichheit in ihrem Fluss zu hemmen. Aber wird das ausreichen? Ich habe da so meine Zweifel. In Wahrheit ist die wirtschaftspolitische
Herausforderung deutlich größer als die Summe der einzelnen Maßnahmen. Das übergeordnete Ziel ist ambitioniert: Wir müssen
in Deutschland eine neue wirtschaftspolitische Ordnung etablieren. Das Ancien Régime ökonomischen Denkens und Handelns, das
in den vergangenen Jahrzehnten zu immer weniger Teilhabe breiter Schichten der Bevölkerung am ökonomischen Erfolg geführt
hat, muss abgelöst werden.
»Dank« dieses Systems sind sowohl am oberen als auch am unteren Ende der Einkommensskala Parallelgesellschaften entstanden,
deren Mitglieder mit dem großen Rest der Gesellschaft nur noch wenig gemein haben – natürlich auf gänzlich verschiedene Weise.
Das gilt nicht nur im Hinblick auf die ökonomische Situation. Es geht vor |223| allem um gemeinsame oder eben trennende Werte. Das zeigen beispielsweise die jüngsten Integrationsdebatten um Migranten auf
der einen Seite und so manche Banker auf der anderen Seite, die trotz verlustreicher und für die Steuerzahler teurer Bankensanierungen
ungerührt Anspruch auf unverschämt hohe Bonuszahlungen erheben. Phänomene wie diese werfen ein grelles Schlaglicht auf die
tiefe ökonomische und wertmäßige Spaltung der Gesellschaft.
Das Nouveau Régime muss also vor allem auf die Integration dieser so verschiedenen Randgruppen gerichtet sein. Diese Integrationsleistung
ist primär eine normative Aufgabe – sie zielt auf eine gemeinsame Wertebasis. Aus ökonomischer Sicht muss es Grenzen der ökonomischen
Spaltung nach oben wie nach unten geben. Wirtschaftlicher Erfolg sollte letztlich allen zugute kommen. Um Missverständnissen
vorzubeugen: Das ist kein Plädoyer für eine Gleichverteilung. Unternehmen oder Unternehmer, die neue Produkte oder Produktionsverfahren
erfinden und sie besonders erfolgreich an den Markt bringen, sollen diesen Erfolg auch an ihrem Einkommen und ihrem Vermögen
ablesen dürfen. Sie sollen sich aber auch verpflichtet fühlen, ihre Mitarbeiter an diesem Erfolg teilhaben zu lassen; das
soll kein Gnadenbeweis sein.
Aus dieser normativen Grundhaltung heraus ergibt sich gleichzeitig die gesellschaftliche Ächtung einer bestimmten Art von
Arbeitgebern. Ich denke an diejenigen, die ihren Erfolg nicht etwa einer besonders guten Produktion verdanken, sondern dem
besonders harten Druck auf die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten. Das können schikanöse Arbeitsbedingungen oder skandalös
niedrige Löhne sein. Im Einzelhandel finden sich dafür besonders viele Beispiele. Aus dieser Werthaltung folgt aber auch die
Ächtung
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