Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Bundesbank nicht symmetrisch bei Überschuss- wie bei Defizitländern gesehen, sondern ausschließlich bei den letztgenannten.
Das ist schon rein rechnerisch unmöglich. Wenn die deutsche Wirtschaft weiterhin auf steigende oder auch nur konstante Außenhandelsüberschüsse
als Wachstumsquelle setzen würde, könnten die anderen Länder ihre Defizite nicht ausgleichen, es sei denn, der Euroraum als
Ganzes würde strukturelle Überschüsse erwirtschaften. Dann hätte sich die globale Schieflage aber sogar verschärft und die
nächste Krise stünde vor der Tür.
So geht es jedenfalls nicht. Deutschland muss sein wirtschaftliches Verhalten ändern. Diese wissenschaftlichen und politischen
Widerstände können den Wandel durchaus gefährden und die deutsche Wirtschaft auf der falschen Spur halten. Es ist vorstellbar,
dass es weiteren Druck auf die Löhne gibt, als Teil weiterer Arbeitsmarktreformen. Allerdings werden dann auch die Unternehmen
wegen des Arbeitskräftemangels immer mehr in Schwierigkeiten geraten. Das klingt gar nicht gut.
Entscheidend wird sein, wie die EZB auf ein verändertes wirtschaftspolitisches Regime in Deutschland reagiert. Wird sie –
wie es vor der Krise der Fall war – schon die Ankündigung höherer Lohnforderungen |231| in Deutschland als versuchten Verstoß gegen die Preisstabilität werten? Oder wird sie erkennen, dass die Preisstabilität im
Euroraum nicht gefährdet ist, sondern Deutschland nur eine ihm gemäße Rolle spielt, die der Stabilität des Euroraums sogar
dienlich ist? Diese Hoffnung setzt allerdings voraus, dass die übrigen Länder des Euroraums gleichfalls die Stabilität wahren.
Das würde für einige weit zurückhaltendere Lohnzuwächse bedeuten. Es besteht die realistische Gefahr, dass mindestens eine
dieser Bedingungen nicht erfüllt ist. In diesem Fall würde die EZB einen restriktiven geldpolitischen Kurs mit hohen Zinsen
einschlagen. Das würde das Wachstum drücken und so den Arbeitskräftebedarf mindern. Es würde allerdings auch bedeuten, dass
Deutschland und der Euroraum vor einer langen Phase wirtschaftlicher Stagnation stünden. Der Wandel würde gestoppt. Das klingt
noch schlechter.
Ich bin dennoch optimistisch. Die Hindernisse sind groß, aber überwindbar. Ein Wechsel ist, anders als noch zu Beginn des
Jahrzehnts, vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels im Interesse sowohl der Beschäftigten als auch der Unternehmen der
Exportwirtschaft. Das dürfte zumindest helfen, politische Widerstände zu überwinden. Selbstverständlich ist auch das neue
Regime nicht ungefährdet. Es kann zu Krisen kommen, es können sich Übertreibungen herausbilden. Das muss die Wirtschaftspolitik
im Auge behalten, und sie muss bereit sein, gegebenenfalls mäßigend einzugreifen. Die konjunkturellen Schwankungen werden
sich auch unter den veränderten Gegebenheiten fortsetzen.
Die Wiederentdeckung der Konjunktur
Allein das Wort »Konjunkturpolitik« löste in den vergangenen beiden Jahrzehnten bei den meisten Ökonomen und Wirtschaftspolitikern
entweder reines Entsetzen oder nur noch ein müdes Gähnen aus. Wie konnte man sich nur mit diesem altmodischen Zeug beschäftigen, |232| das war ja nun in höchstem Maße nutzlos! Es schien vollkommen abwegig, sich überhaupt mit dem Phänomen Konjunktur zu befassen.
Stattdessen betrieb man »Wachstumspolitik«, die sich nicht mehr auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, sondern lediglich
um das Angebot kümmerte. In den Augen vieler Politiker und Wissenschaftler war dies ein langfristig tragfähigerer Weg, wirtschaftliche
Dynamik zu entfalten, als eine vermeintlich kurzfristig orientierte Nachfragepolitik, die auf zyklische Schwankungen reagierte.
Die Krise sollte alle Verantwortlichen gelehrt haben, wie wichtig ein konjunkturpolitisches Instrumentarium ist, selbst wenn
man es nicht jederzeit anwendet, sondern einfach nur für Krisenfälle vorhält. Schließlich kann niemand ausschließen, dass
es früher oder später – aus welchen Gründen auch immer – wieder zu einer Krise kommt. Die Marktwirtschaft ist kein Sofa, auf
dem man sich ausruhen kann und gelassen auf den stetigen Strom der Ereignisse blickt. Marktwirtschaft ist das produktive Chaos,
das jederzeit ausflippen kann, um in einen Zustand knallbunter Euphorie oder tiefschwarzer Panik zu verfallen. Da gibt es
genug Aufgaben für eine aktive Konjunkturpolitik: Sie muss an der Seitenlinie dieses Chaos stehen, durch
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