Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
besteht darin, dass ein Marktteilnehmer im Zuge von Preis- oder Lohnverhandlungen in der Lage ist, seine Ziele mehr oder minder
stark durchzusetzen. Ein Marktteilnehmer ist machtlos, wenn er die Preis- oder Lohnvorstellungen seines Gegenübers einfach
akzeptieren muss. Dies ist eine vertraute Situation für Arbeitnehmer, die eine Stelle suchen. Es gibt aber auch den Investmentbanker,
der über heiß gesuchte Spezialkenntnisse verfügt und deshalb den Banken sein Gehalt weitgehend diktieren kann. Die echte Situation
aus dem Arbeitsleben liegt vermutlich irgendwo zwischen diesen beiden Extremen.
So verfügt der einzelne Arbeitnehmer zwar bestenfalls über wenig, in der Regel aber über keine Marktmacht. Indem er sich aber
zum Beispiel einer Gewerkschaft anschließt, die für seine Branche die Löhne aushandelt, verschiebt sich das Machtgefüge zugunsten
der Arbeitnehmer. Die Unternehmen können in diesem Fall die einzelnen Arbeitnehmer auf Jobsuche nicht mehr gegeneinander ausspielen.
Im Gegenteil: Die Gewerkschaften können dann einzelne Unternehmen gegeneinander ausspielen. Um dies zu vermeiden, werden auch
die Unternehmen sich zu Verbänden zusammenschließen. Die Löhne werden dann zwischen Gewerkschaften und Unternehmensverbänden
auf Augenhöhe ausgehandelt. Damit kommt diese Konstellation dem marktwirtschaftlichen Ideal gleichberechtigter Verhandlungen
sogar am nächsten. Genau das ist bis heute auch das Modell für Lohnverhandlungen in Deutschland. Es hat allerdings in den
vergangenen Jahren nach der Wiedervereinigung und der zähen Krise nach dem Jahr 2000 an Bedeutung verloren. Das liegt sicherlich
vor allem an fehlenden Organisationsstrukturen sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Unternehmerseite und gilt besonders für
den Osten Deutschlands.
Wenn ich diese Überlegungen zusammenfasse, dann lässt sich die Wurzel von Marktmacht eindeutig identifizieren: Es ist Knappheit. |49| Sie unterscheidet den Investmentbanker von der Putzfrau oder dem Fensterputzer. Der Banker verfügt über so spezielle Fachkenntnisse,
dass er nur schwer zu ersetzen ist. Für Reinigungskräfte hingegen ist das Angebot groß. Die einzelnen Arbeitnehmer in diesen
Berufen können also leicht ersetzt werden, egal wie gut sie ihren Job machen. Das erschwert ihre Verhandlungsposition. Für
einzelne Arbeitnehmer in diesen Bereichen wäre es unter normalen Umständen unmöglich, über Lohnverhandlungen zu einem Gehalt
zu kommen, das auch nur annähernd ihre Produktivität widerspiegeln würde. Sie müssten sich mit einem Angebot des Unternehmens
zufrieden geben, das deutlich darunter liegen dürfte, während ihr Arbeitgeber erhebliche Zusatzgewinne aus ihrer Beschäftigung
zieht. Erst mithilfe von Gewerkschaften, die durch die organisatorische Bündelung der Arbeitnehmerinteressen eine Art künstlicher
Verknappung erreichen, verfügen sie über die Macht, Löhne durchzusetzen, die auch ihre Leistung abbilden.
Knappheit auf einem Markt ist keine Konstante. Sie hängt mittelbis längerfristig davon ab, wie stark das hergestellte Produkt
nachgefragt wird. Gibt es zum Beispiel eine steigende Nachfrage, nimmt auch die Nachfrage nach den entsprechenden Arbeitskräften
zu: Ihre Knappheit steigt, ihre Arbeitskraft ist begehrt und ihre Verhandlungsposition verbessert sich. Folglich werden auch
höhere Löhne gezahlt. Bereits kurzfristig schlägt sich auch eine veränderte Konjunkturlage in veränderten Knappheiten nieder.
Bricht die Konjunktur ein, steigt die Zahl der Arbeitslosen. Die Knappheit von Arbeitskräften nimmt ab. In der Folge verschlechtert
sich ihre Verhandlungsposition und die Löhne geraten mit oder erst recht ohne Gewerkschaften unter Druck. So funktioniert
das System von Angebot und Nachfrage für den Arbeitsmarkt.
Was aber hat Knappheit nun mit der Leistungsgerechtigkeit zu tun, die ein Marktergebnis anscheinend immer herbeiführt? Die
Leistung des Einzelnen besteht darin, die Knappheitsverhältnisse des Marktes richtig einzuschätzen und in Einklang mit seinen
Fähigkeiten seine Arbeitskraft anzubieten. Belohnt wird also ein Verhalten, das |50| marktgerecht ist, bestraft wird eines, das am Markt vorbeigeht. Ob das auch leistungsgerecht ist, lässt sich so nicht beantworten
– es sei denn, man attestiert dem Markt Gerechtigkeit aus eigenem Recht, indem nur das Leistung ist, was der Markt mit all
den genannten Unvollkommenheiten als Leistung erbringt. Das aber ist eine
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