Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
triviale Sichtweise, denn damit wird automatisch
jedes Marktergebnis als gerecht angesehen. Eine solche Sichtweise dient allein einer pauschalen Rechtfertigung jedes Marktergebnisses.
Das bringt uns nicht weiter.
Um gehaltvoller urteilen zu können, muss man Prinzipien heranziehen, die Marktergebnisse gleichsam von »außen«, also außerhalb
des Marktsystems bewerten. An dieser Stelle möchte ich auf die Gerechtigkeitstheorie des amerikanischen Philosophen John Rawls
hinweisen. 19 In dem geschilderten Kontext ist insbesondere sein Differenzprinzip von Bedeutung. Demnach sollten ökonomische Ungleichheiten
den am wenigsten Begünstigten der Gesellschaft den größten Vorteil bringen. Nach Rawls können also Ungleichheiten, auch der
Einkommen, zwar gerecht sein, das gilt aber nur dann, wenn diejenigen mit den niedrigsten Einkommen hiervon am meisten profitieren.
Zu theoretisch? Dann schauen wir uns die Praxis an.
Ein positives Beispiel für Rawls’ Theorie ist der erfolgreiche Unternehmer, der ein neues Produkt auf den Markt bringt. Auf
diese Weise kann er sein Einkommen eventuell dramatisch über den Durchschnitt der Gesellschaft anheben. Dies wäre im Rawls’schen
Sinne dann gerecht, wenn er durch die Produktion Menschen Beschäftigung und damit Einkommen verschafft, die zuvor zum Beispiel
arbeitslos waren oder sehr wenig verdient haben. Es ist dabei unerheblich, ob diese Beschäftigung direkt in seinem Unternehmen
entsteht oder indirekt in anderen. Ein negatives Beispiel ist der ebenfalls erfolgreiche Unternehmer, der durch Lohnkürzungen
und Entlassungen sein Einkommen drastisch steigert. Die Ungleichheit besteht in diesem Fall darin, dass sich die Einkommen
der Beschäftigten verschlechtern oder sie sogar arbeitslos werden. Dieses Ergebnis ist im Rawls’schen Sinn nicht gerecht,
denn es widerspricht dem Differenzprinzip.
Mithilfe dieser Prinzipien lassen sich Marktergebnisse im Hinblick |51| auf ihre Gerechtigkeit beurteilen. Wie die Beispiele zeigen, gibt es dabei keinen Blankoscheck, sondern jeder Einzelfall muss
gesondert betrachtet werden. Mir drängt sich nun die Frage auf, ob die wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre
zu einer leistungsgerechten Verteilung der Einkommen geführt haben und welche Rolle all dies für das Entstehen der Krise gespielt
hat.
Eine Wirtschaftspolitik für mehr Ungleichheit
Eigentlich dachte man, dass das Problem der Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in Deutschland längst gelöst sei. Noch
bis zu Beginn der 1980er Jahre verteilten sich die Einkommen immer gleicher in Deutschland. Zu der Zeit begann vielmehr die
Kritik an zu viel Gleichheit – die Kritiker führten an, dass dieses Zuviel jeglichen Anreiz zur Leistung zunichte mache. Was
für ein Gedanke! Danach kam es sukzessive zu einem Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik, der wieder mehr Raum für Ungleichheit
ließ. Die Agenda 2010 ist ein markanter Meilenstein dieser veränderten Haltung. Mit der Einführung der Grundsicherung im Rahmen
der Hartz-Reformen ließ man bewusst zu, dass Menschen, die längere Zeit ohne Arbeit waren, sich im Hinblick auf ihre Einkommen
deutlich vom Rest der Bevölkerung nach unten entfernen. Das gilt zum einen direkt für die Hartz-IV-Bezieher (korrekt ALG II
= Arbeitslosengeld II), und es gilt indirekt für alle, die infolge des dadurch ausgelösten Lohndrucks gleichfalls in ihrer
Einkommensentwicklung zurückfallen.
Hinzu kommt, dass das Arbeitsrecht oft in einer Weise »refor miert « wurde, die das »Normalarbeitsverhältnis« mit unbefristeter Beschäftigung, Kündigungsschutz und Sozialversicherung immer
weiter aushöhlte. Diese bedenkliche Entwicklung begann schon in den 1990er Jahren, indem spezielle Arbeitsverhältnisse mit
geringfügiger Beschäftigung steuerlich subventioniert wurden. Das führte dazu, dass diese Form der Beschäftigung im Aufschwung
stark ausgeweitet wurde, ohne dass – und das ist bemerkenswert – im Übrigen |52| die Arbeitslosigkeit entsprechend zurückging. Dies lag wiederum daran, dass diese Stellen vor allem mit Studenten und hinzuverdienenden
Ehefrauen besetzt wurden, die zuvor nicht arbeitslos gemeldet waren. Sie sind auch nicht auf eine komplette Sozialversicherung
angewiesen, entweder weil sie wie die Studenten ohnehin nur vorübergehend solche Jobs machen, oder weil sie über den Ehepartner
abgesichert sind.
Diese Entwicklung setzte sich im folgenden Jahrzehnt mit
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