Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
Konjunkturpolitik keine große Rolle mehr. Auf eine kurze Formel gebracht: Förderung des Reichtums trat
an die Stelle von Bekämpfung der Armut. Diese Wirtschaftspolitik schien in die Zeit zu passen und war keinesfalls nur auf
Deutschland begrenzt. Viele Befürworter dieser Richtung forderten sogar mehr und Radikaleres in dieser Richtung. Die Wirtschaftspolitik
war, gemessen an ihren eigenen Zielen, kein Erfolg. Weder die Wachstums- noch die Beschäftigungsperspektiven haben sich damals
deutlich verbessert.
Zu Zeiten der Großen Koalition wurde die Bedeutung der Konjunktur und folglich auch der Konjunkturpolitik wesentlich angemessener |44| eingeschätzt als unter der Vorgängerregierung. Gesamtwirtschaftliche Politik gewann wieder an Stellenwert. Dieses Umdenken
war einer der Gründe, warum der weltweite Aufschwung endlich auch in Deutschland spürbar wurde – leider aber kam er nicht
bei den Beschäftigten an. Im Gegenteil: Sie hatten am Ende des Aufschwungs unter Berücksichtigung der Preissteigerungen weniger
Geld in ihren Portemonnaies als zu Beginn. Immerhin gelang ein langer und kräftiger Aufschwung mit entsprechenden Beschäftigungszuwächsen.
Die Politik der Großen Koalition war also nicht ganz erfolglos.
Wenn aber selbst in einem Aufschwung – einer Phase der wirtschaftlichen Entwicklung, in der normalerweise breite Bevölkerungskreise
an Wohlstand gewinnen – genau das Gegenteil der Fall ist; wenn also die Früchte wirtschaftlicher Leistung immer einseitiger
verteilt werden, dann konnte mit der Wirtschaftspolitik doch irgendetwas nicht stimmen. Aber was war es?
Die Ungleichheit der Einkommen
Auch die wirtschaftswissenschaftliche Lehre und Forschung unterliegt gewissen Trends und Strömungen. In der Zeit, über die
wir hier sprechen, war es die Theorie und Empirie der Verteilung von Einkommen und Vermögen, nach der kein Hahn mehr krähte.
Die Probleme ungleicher Entlohnung von Arbeit und Kapital oder der ungleichen Verteilung von Einkommen und von Vermögen waren
vollkommen aus dem Blickfeld geraten – sie waren »von gestern«. Die vorherrschende und nach eigener Ansicht moderne Lehre
sieht Ungleichheit geradezu als Voraussetzung für eine dynamische Marktwirtschaft an. Ungleichheit als Marktergebnis ist so
gesehen zunächst einmal gerecht. Empfindet die Gesellschaft (oder Teile davon) dies als untragbar, muss eben der Staat über
seine Sozialsysteme einspringen. Soll er doch diese Schieflage durch Transferzahlungen, die |45| durch Steuern oder Abgaben finanziert werden, entsprechend korrigieren! Das wird von Ökonomen aber gleichzeitig immer wieder
als leistungsfeindlich charakterisiert. 18 Diese Haltung liefert ein Hauptargument für den Rückbau der Sozialsysteme – schließlich ist aus Sicht der modernen Lehre
ja jeder seines Glückes Schmied.
Marktbestimmte Ungleichheit begründet sich durch unterschiedliche Leistungen, so lautet die Argumentation. Der Markt produziert
also Leistungsgerechtigkeit. Er belohnt demnach gute Leistungen mit hohen Einkommen und bestraft schlechte mit niedrigen oder
gar keinem Einkommen. Bleibt die Frage, was eine gute und was eine schlechte Leistung ist.
Ein kleiner Exkurs über Gerechtigkeit und Bezahlung
Es gibt eine notwendige Voraussetzung dafür, dass der Markt eine Leistung als gut bewertet: Sie muss auf dem Markt sowohl
angeboten als auch nachgefragt werden. Qualität und Preis des Angebots müssen sowohl mit den Wünschen und dem Budget der Nachfrager
als auch mit den Gewinnen oder, allgemeiner, mit dem Einkommen für den Anbieter vereinbar sein. Nur so kann ein Handel überhaupt
zustande kommen. Produkte, die keiner will oder die für die Kunden zu teuer sind, werden nicht nachgefragt, und Produkte,
die in der Herstellung zu teuer sind und keinen Gewinn oder kein positives Einkommen erwarten lassen, werden erst gar nicht
angeboten. Dann entsteht auch kein Einkommen, und aus Marktsicht wird auch keine Leistung erbracht. Je günstiger ein Anbieter
also sein Produkt herstellen kann und je besser er die Wünsche der Kunden trifft, desto mehr Einkommen wird er erzielen und
desto größer ist demnach seine Leistung. Diese Überlegungen gelten prinzipiell nicht nur für Unternehmen oder Unternehmer,
sondern auch für die Arbeitnehmer. Und über die Leistungsgerechtigkeit für Arbeit will ich nun sprechen.
Das Angebot der Arbeitnehmer ist ihre Arbeitskraft. Ihre Nachfrager sind die Unternehmen. Je
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