Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
liegen dürfte und somit rechtlich
einer Steuersenkung gleichkommt. Ob es auch faktisch so war, hängt davon ab, ob diese Einkommen zuvor, unter altem Steuerrecht,
korrekt besteuert wurden. Angesichts der vielfältigen »Ausweichmög lichkeiten « für Kapitaleinkommen darf man getrost daran zweifeln.
Mit der Einführung der pauschalen Kapitalertragsteuer wurde aber das Prinzip, dass jede Form von Einkommen gleich besteuert
wird, gebrochen. Während Arbeitseinkommen weiterhin nach dem Einkommensteuerrecht veranlagt werden, gilt dies für Kapitaleinkommen
nicht mehr. Für Bezieher hoher Einkommen 9* wird Einkommen aus Kapital geringer besteuert als das aus Arbeit. Da gerade bei hohen Einkommen das Kapitalvermögen einen besonders hohen Anteil haben dürfte, liegt die Schlussfolgerung auf der Hand.
Die partielle Privilegierung von Kapitaleinkommen ist umso erstaunlicher, als im Hinblick auf die Vermögen die steuerlichen
Privilegierungen spezieller Vermögensarten vom Bundesverfassungsgericht |55| untersagt wurden. Das war jedenfalls der Grund, warum das Bundesverfassungsgericht anordnete, keine Vermögensteuer mehr zu
erheben – weil sie Immobilienvermögen steuerlich bevorzugte. Dabei hatte das Gericht keine prinzipiellen Einwände gegen die
Besteuerung von Vermögen, wohl aber gegen die Privilegierung einzelner Vermögensarten wie vor allem eben von Immobilienvermögen.
Im Ergebnis wird seither Vermögen überhaupt nicht mehr besteuert. Es ist schwer nachvollziehbar, dass einerseits die Privilegierung
von Kapitaleinkommen offenbar keine verfassungsrechtlichen Probleme aufwirft, bei den Vermögen andererseits aber doch. Noch
unverständlicher ist, dass der rechtliche Spielraum immer zugunsten der hohen Einkommen und Vermögen ausgenutzt wird. Man
hätte ja auch anders entscheiden können, indem man die Vermögensteuer ohne die Privilegierung einzelner Einkommensarten wieder
eingeführt hätte. All diese Entscheidungen sprechen – leider – eine klare Sprache.
Das finanzielle Ausmaß der Steuerrechtsänderungen lässt sich berechnen. So kommen Truger und Teichmann zu dem Ergebnis, dass
der Staat – selbst unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuererhöhung, die ihm ja beträchtliche Mehreinnahmen beschert hat
– durch die Vielzahl an Steuersenkungen allein im Jahr 2010 51 Milliarden Euro an Einnahmen verloren hat. 20 All dies heißt nichts anderes, als dass die Steuerpolitik, mit der eigentlich die Ungleichheit der Markteinkommen merklich
vermindert werden soll, dieses Ziel deutlich zurücknimmt. Im Gegenteil: Mehr Ungleichheit ist erwünscht. Die steuerliche Bekämpfung
von Ungleichheit hatte offensichtlich keine wirtschaftspolitische Priorität mehr. Mit fatalen Folgen: Die Früchte höherer
wirtschaftlicher Leistung werden immer mehr zu einer Beute des Reichtums.
Die neue Ungleichheit
Diese Wirtschaftspolitik nahm mehr Ungleichheit bewusst in Kauf: Vielleicht kann man sogar sagen, dass sie diese Ungleichheit
aktiv |56| anstrebte. Und diese Haltung zeigte dann auch bald Wirkung. Seit dem Jahr 2000, als die ersten der geschilderten Maßnahmen
bereits effektiv waren, hat die Ungleichheit in Deutschland drastisch zugenommen. Im Folgenden möchte ich die verschiedenen
Aspekte dieses Phänomens und ihre gravierenden Konsequenzen für das wirtschaftliche Handeln etwas näher beleuchten.
Ein erster grober Blick auf die Abbildung 2 zeigt, dass sich in Deutschland die Kapital- und Vermögenseinkommen auf der einen
Seite und die Arbeitseinkommen auf der anderen Seite in der Tendenz schon seit den 1970er Jahren – beschleunigt aber seit
dem Jahr 2000 – sehr unterschiedlich entwickelt haben. Die Arbeitseinkommen sind immer weiter hinter den Kapitaleinkommen
zurückgeblieben. Das wird anhand der bereinigten Lohnquote gemessen. Die bereinigte Lohnquote zeigt, welcher Anteil an den
gesamtwirtschaftlichen Einkommen auf die Löhne entfällt. Dabei wird berücksichtigt, wie hoch der Anteil der Selbstständigen
im Verhältnis zu den abhängig Beschäftigten ist; deshalb heißt es bereinigte Lohnquote.
Sie ist nun seit ihrem Höhepunkt in den 1970er Jahren, mit kurzen Unterbrechungen während besonders schwacher Wirtschaftsphasen,
beständig gesunken. Das heißt im Klartext: Die Einkommenszuwächse aus Arbeit sind deutlich hinter denen für Kapital und Vermögen
zurückgeblieben. Selbst die Unterbrechungen beim tendenziellen Fall der Lohnquote waren pathologisch und
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