Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
ist also nicht nur Ausdruck einer höheren Verteilungsgerechtigkeit.
Sie führt darüber hinaus zu einer stärkeren |188| Verankerung von Sicherheitsprinzipien. Beide Prinzipien ergänzen sich.
Bleibt die spannende Frage, ob der Kuchen, der bei mehr Verteilungsgerechtigkeit gebacken werden kann, nicht nur stabiler
ist, sondern vielleicht sogar größer. Die gängigen Theorien und ihre Vertreter bestreiten das. Schließlich vermindert aus
ihrer Sicht die Umverteilung den Anreiz, überhaupt Reichtum anzustreben. In der Folge nehme die Bereitschaft zu investieren
ab, und das drücke das Wachstum. Das Ergebnis: Der zu verteilende Kuchen wäre kleiner. Gegen diese Sichtweise spricht, dass
bei einer Bilanz der Wachstumswirkungen die Wachstumsverluste durch Krisen berücksichtigt werden müssen. Das heißt, das Wachstum
muss bei einer ungleicheren Verteilung wegen der höheren Risiken in guten Jahren entsprechend höher sein. Skidelsky 55 weist zu Recht darauf hin, dass das Wachstum der größeren Volkswirtschaften in Zeiten gleichmäßigerer Verteilung und regulierter
Finanzmärkte höher war. Schon das widerlegt die These eines positiven und linearen Zusammenhangs zwischen mehr Ungleichheit
und mehr Wachstum. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass in Deutschland seit etwa 2000 die Ungleichheit am stärksten
zugenommen hat, während das Wachstum relativ schwach war. Ähnliches gilt für Japan. Diese Fakten sprechen wohl für sich.
Das zweite Gegenargument basiert auf der Unterscheidung zwischen Investitionen in realwirtschaftliche Anlageformen und Finanzmarktinvestitionen.
Da gibt es einen interessanten Zusammenhang. Erstere erhöhen in der Tat das Wachstum. Letztere erreichen dies nur dann, wenn
sie durch den Prozess der Finanzintermediation, also über das Sammeln und Verteilen von Kapital durch den Finanzsektor, letztlich
in realwirtschaftliche Anlageformen überführt werden. Genau an dieser Stelle haperte es in den vergangenen Jahren. Der Grund
liegt in der beschriebenen Verselbstständigung des Finanzsektors. Wenn die Renditeerwartungen für Anlagen auf den Finanzmärkten
deutlich über denen in der Realwirtschaft liegen, gibt es keinen Anreiz, die Finanzmittel dorthin zu schleusen. Im Gegenteil,
es werden dem realwirtschaftlichen Sektor sogar Finanzmittel entzogen. |189| Aus der Sicht eines Unternehmens ist es so gesehen vernünftiger, seine Finanzmittel stärker in Finanzmarktanlagen zu stecken,
als sie für die investive Erweiterung der eigenen Produktionskapazitäten zu verwenden. 56 So kann man sich die trotz hoher Renditen nur mäßige Investitionsneigung im Unternehmenssektor erklären. 57
Orientieren sich Unternehmen verstärkt am Finanzmarkt und vermindern sie entsprechend ihre realwirtschaftlichen Investitionen,
vermindert sich gleichfalls das Wachstum und folglich der zur Verfügung stehende Kuchen. Abgesehen davon ist eine solche Konstellation
nicht langfristig aufrechtzuerhalten. Höhere Renditen an den Finanzmärkten als in der Realwirtschaft kann es auf Dauer nicht
geben. Schließlich hängt der Finanzmarkt an der Realwirtschaft. Sind die Renditen dort niedrig, können ihm allmählich immer
weniger Mittel zufließen. Gleichzeitig werden wegen geringer Investitionsbereitschaft immer weniger Mittel in diese Richtung
abfließen. Dann aber versandet der Finanzmarkt, da er auf Dauer keine Renditen aus eigener Kraft erzeugen kann, sondern nur
in Verbindung mit einer profitablen Realwirtschaft.
Das dritte Gegenargument beruht auf der Verwendung der Einkommen. Eine gleichmäßigere Verteilung der Einkommen sorgt dafür,
dass ein relativ hoher Anteil der Wertschöpfung, die in einer Periode erzielt wird, zunächst in den privaten Verbrauch fließt.
Eine kräftige Verbrauchskonjunktur ist dann ein starker Anreiz für vermehrte Investitionen. So kann aus einer gleichmäßigen
Einkommensverteilung auf seriöse Weise, also ohne private Überschuldung wie in den USA, eine insgesamt dynamische Binnenkonjunktur
entstehen. Genau daran hat es in Deutschland im vergangen Jahrzehnt gemangelt.
Meine Schlussfolgerung aus alldem: Verteilungsgerechtigkeit und Wachstum sind keine Gegensätze. Im Gegenteil, ein Staat, der
verteilungspolitisch aktiv ist, stützt die Wachstumskräfte. Beides ergänzt sich, solange Grenzen gewahrt werden. Diese Grenzen
werden durch Umverteilung markiert. Dass eine Wirtschaft Schaden nimmt, wenn die Rentabilität der Unternehmen
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