Des Reichtums fette Beute - Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert
permanent durch
zu hohe Lohnabschlüsse |190| gedrückt wird, gehört mittlerweile zu den Binsenweisheiten jedes Wirtschaftspolitikers. Die Überlegungen in diesem Buch zeigen,
dass das Gegenteil auch richtig ist. Der permanente Druck auf Löhne, die fortwährende Entwertung der Arbeit ist ebenso schädlich
für die Volkswirtschaft. Diese Einsicht ist unter Deutschlands Wirtschaftspolitikern leider nicht weit verbreitet. Dabei zeichnet
sich eine vernünftige Wirtschaftspolitik genau dadurch aus: Sie findet den Grat zwischen profitablen Unternehmen auf der einen
Seite und gerechter, an der gesamtwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientierter Entlohnung auf der anderen. Und sie tut
alles dafür, dass sich die Tarifparteien an diesem Pfad entlang bewegen.
Daran hat es während des vergangenen Jahrzehnts eindeutig gefehlt. Man wollte diesen Pfad nicht finden, da, so die Argumentation,
Verteilungsfragen in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit einfach nicht auf der Tagesordnung stünden. Selbstverständlich standen
sie trotzdem auf der Tagesordnung, wenn auch nicht groß darüber geredet wurde. Allerdings galt die Beschäftigung mit Verteilungsfragen
nur in eine Richtung: mehr Geld für Unternehmen und Reiche.
Die Wirtschaftpolitik muss in dieser Frage eine komplette Kehrtwendung vollziehen. Grundsätzlich stehen Verteilungsfragen
immer auf der Tagesordnung. Sie dürfen in Zukunft nicht mehr vernachlässigt oder gar verschwiegen werden. Es dürfen einfach
keine Schieflagen entstehen, weder in die eine noch in die andere Richtung. Das muss eine Aufgabe von Wirtschaftspolitik sein.
In den kommenden Jahren müssen wir uns auch mit den Verteilungs-Ungerechtigkeiten der Vergangenheit beschäftigen. Die Ära
der Umverteilung zulasten der Lohneinkommen muss überwunden, der Beutezug des Reichtums muss beendet werden. Das Prinzip Verteilungsgerechtigkeit
erfordert ein wirtschaftspolitisches Umfeld, in dem die Lohnentwicklung wieder so sein kann, dass über die Jahre hinweg alle
Beschäftigten in gleicher Weise vom Zuwachs an gesamtwirtschaftlicher Leistungsfähigkeit profitieren wie die Unternehmen.
Dies muss wieder ein Ziel wirtschaftspolitischen Handelns werden. Das ist in aller Kürze das Programm.
|191| Die Bedeutung von Normen
Nicht zuletzt die Krise, aber auch zahlreiche andere Verwerfungen in unserer Gesellschaft wie das Entstehen von Parallelgesellschaften
in der Unterschicht haben uns eines deutlich gezeigt: Eine nachhaltige Wirtschaftpolitik setzt einen starken gesellschaftlichen
Zusammenhalt voraus. Nur wenn es gemeinsame Normen gibt, die von weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert und praktiziert
werden, ist die Voraussetzung für eine solide wirtschaftliche Entwicklung gegeben.
In jüngster Zeit haben immer mehr Ökonomen die Bedeutung von gesellschaftlichen Normen für das ökonomische Verhalten erkannt. 58 Experimente haben ergeben, dass sie das wirtschaftliche Verhalten in hohem Maße bestimmen. Dabei spielen auch gesellschaftliche
Normen über Verteilungsgerechtigkeit eine erhebliche Rolle. Die Menschen schauen also nicht nur auf Größen, die ihren individuellen
Nutzen tangieren. Sie lassen in ihre Handlungen auch ihre Vorstellungen über die Gesellschaft, in der sie leben wollen, einfließen.
Dazu gehört, dass der Wohlstand in einer Gesellschaft gerecht verteilt wird. Die Menschen sind bereit, für ein solches Ziel
Steuern oder Abgaben zu zahlen, auch wenn das ihr verfügbares Einkommen vermindert. Sie tun das aber nur gerne, wenn sie die
– berechtigte – Hoffnung haben, dass auch sie an diesem Wohlstand beteiligt werden.
Eine gesellschaftliche Übereinkunft über die gesellschaftlichen Normen lässt sich nur erzielen und bewahren, wenn letztlich
alle am wirtschaftlichen Wohlstandsgewinn teilhaben. Das schließt eine Politik aus, die fast ausschließlich im Interesse des
Reichtums agiert, so wie sie im vergangenen Jahrzehnt von maßgeblichen Ökonomen gefordert und von der Wirtschaftspolitik weitgehend
akzeptiert und betrieben wurde. Eine Wirtschaftspolitik, die in Zukunft Krisen vermeiden will, muss die gesellschaftlichen
Normen beachten und sie in ein Konzept von Verteilungsgerechtigkeit umsetzen. Das Ergebnis kann nur eine Politik sein, die
die Position der abhängig Beschäftigten in allen ihren Einkommenssegmenten stärkt.
|192| Ein schöner Gedanke: Vollbeschäftigung
Noch ein anderes zentrales wirtschaftspolitisches Ziel ist in den
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