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Des Satans Schatten

Des Satans Schatten

Titel: Des Satans Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F.G. Klimmek
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dem Pfahl, an dem der erste Akt des Schauspiels stattfinden sollte.
    Die Trommeln verstummten, und es trat eine solche Stille ein, dass man in ihr die redensartliche Nadel hätte zu Boden fallen hören. Nun erhob sich der Richter und verlas mit einigem Räuspern das Urteil, welches nach ausführlicher Schilderung der begangenen Verbrechen die Reihenfolge der Strafen angab, mit denen der Missetäter vom Leben zum Tode torquiert werden sollte.
    Danach bot man dem Todeskandidaten die Möglichkeit, mit sich, seiner Schuld und dem Himmel ins Reine zu kommen, indem er vor aller Welt in einer ergreifenden Rede sein verpfuschtes Leben ausbreitete und sich selbst als ewige Mahnung zur Läuterung und erzieherischen Einwirkung darböte. Ich hatte in solchen Situationen wiederholt erlebt, dass die Verurteilten förmlich von einer Todessehnsucht mitgerissen wurden und ihre Rolle tatsächlich genossen, erfuhren sie doch zum ersten Mal in ihrem Leben eine Aufmerksamkeit, die ihnen ansonsten beständig versagt geblieben war. Manche vergaßen darüber wahrhaftig für einige Minuten, dass dies auch das letzte Mal war.
    In Scharmanns Verhalten änderte sich jedoch nichts. Aufgrund der Fesselung unfähig, mehr als nur kleinste Bewegungen zu vollführen, verharrte er in seiner verkrümmten Position und gab nur brabbelnde Laute von sich, die außerhalb der Plattform nicht mehr zu hören waren. Auch das Hinzutreten des Priesters, der ihn im Glauben bestärken und ihm eine letzte Beichte abnehmen wollte, nötigte ihm keine andere Reaktion ab.
    Als der Pfaffe mit seinem Sermon fertig war, scheuchte ihn der Richter mit einem kurzen Wink beiseite. Dieses Zeichen war gleichzeitig die Aufforderung an die Henker, ihres Amtes zu walten.
    Die Knechte zogen den Delinquenten aus seiner Hockstellung empor vor den Pfahl, an dem sie ihn dadurch fixierten, dass sie zwei in der entsprechenden Höhe angebrachte eiserne Reifen um seinen Hals und seinen Leib legten, ohne ihn von seinen sonstigen Fesseln zu befreien.
    Die Luft über der Menge vor mir, aus der vereinzeltes Stöhnen und manchmal sogar ein hysterisches Gelächter zu hören waren, schien sich zu einer durchsichtigen Gallerte zu verdichten, die man beinahe mit einem Messer hätte schneiden können. Die Masse wogte wieder wie zuvor hin und her, weil ein jeder danach trachtete, seine Sicht zu verbessern, und sie wirkte dabei so hitzig wie ein angetrunkener Galan, der sich im nächsten Moment auf seinen Nebenbuhler stürzen will, der ihm die Gunst der Dorfhure streitig macht.
    Nun endlich trat der Henker vor und ergriff, nachdem Totenstille eingekehrt war und er sich der ungeteilten Aufmerksamkeit des Volkes sicher sein konnte, eine an den Backen weißglühende, etwa armlange Zange. Diese grub er in den Brustmuskel des Verurteilten, um nach sekundenlangem Warten, in dem sich der Geruch verbrannten Fleisches mit den Ausdünstungen der Menge mischte, ein Stück aus dem Körper zu reißen.
    Es war dieser besondere, mit nichts anderem zu vergleichende Geruch, der mich seit dem 22. Januar des Jahres 1536 nicht mehr loslassen sollte. Ich schloss wie im Zwang die Augen vor der grässlichen Szene vor mir, bloß, um damit eine noch weit schlimmere wieder vor mir erstehen zu lassen, in der das Gemetzel an den Anführern der Wiedertäufer in meiner allernächsten Nähe stattgefunden hatte. Nur mit größtmöglicher Selbstbeherrschung gelang es mir, meinen Magen unter Kontrolle zu halten. Dankbarkeit hin, Dankbarkeit her, ich verfluchte mich für meine Bereitschaft, dem Grafen von Crange behilflich sein zu wollen.
    Mit einer weiteren Anstrengung zwang ich mich, die Augen wieder zu öffnen.
    In den vergangenen Sekunden war außer dem Zischen des Fleisches kein Laut zu hören gewesen. Weitere Momente vergingen, bis sich etwas von dem Gepeinigten vernehmen ließ, der zur Verblüffung aller zunächst stumm zu bleiben schien. Es war ein hoher, singender Ton, der immer tiefer wurde, dabei anschwoll und schließlich in einem jaulenden Knurren gipfelte, als befände sich kein Mensch, sondern ein Wolf von der Größe eines Bären auf der Plattform.
    Dieses wiederholte sich, sooft der Henker mit seinen versengenden Klauen auf sein Opfer zustieß und Stück für Stück verkohlendes Fleisch aus dem zuckenden Körper riss.
    Gernot bemerkte meine Reaktion, ohne jedoch etwas dazu zu sagen. Er reichte mir einen Becher herüber, den ich zur Hälfte auf einen Zug in mich hineinstürzte, wobei mir die Stärke des Branntweins

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