Des Satans Schatten
Käse an, während andere, beladen mit riesigen Korbflaschen, Wein anpriesen. Wie mochte es hier erst morgen aussehen?
Da ich bei meinem Besuch im Kerker verständlicherweise keine Lust verspürt hatte, mich selbst an dem spendierten Wein zu bedienen, war mir nun ein guter Schluck ganz willkommen. Ich hielt mich an einen älteren Mann, der aus einer metallenen Kruke Bier ausschenkte und einen sauberen Eindruck machte. Er hielt mir einen frischen Humpen hin, für den er nicht allzu viel Geld verlangte.
Den herben Gerstensaft in der Hand, machte ich eine weit ausholende Geste über den Platz. »Ein Mörder von drei Menschen scheint viel Volk auf die Beine zu bringen, meint Ihr nicht auch?«
Er war nicht der Typ, der leichtfertig drauflos schwätzte, sondern antwortete nach einer Weile: »Vielleicht hätte das schon genügt. Aber bestimmt spielt eine große Rolle, dass er ein Werwolf ist.«
Ich musterte skeptisch seine Miene, um aus ihr abzulesen, ob das sein Ernst sei. Doch da war nichts Verräterisches zu entdecken, er schien tatsächlich davon überzeugt.
»Ihr seid anderer Ansicht, glaubt nicht an solche Kreaturen? Nun, ich habe selber mit den Männern gesprochen, die ihn gefangen genommen haben. Sie haben in seinem Haus den Wolfsfellgürtel gefunden, mit dessen Hilfe er sich in die Bestie verwandelt hat. Das Ding liegt dem Stadtrat vor, der es untersucht hat. Und denkt an die zerrissenen Leichen des kleinen Trecks vor zwei Monaten. Das waren keine Spuren von Menschen. – Ich hoffe, sie werden ihn so richten, dass er nicht nach seinem Tode wieder zurückkehrt.« Dabei durchlief ein leichtes Zittern seinen Körper.
Wenn das die allgemeine Meinung war, dann würde es hier morgen einen Menschenauflauf sondergleichen geben. Eventuell sollte ich doch noch einmal mit dem Vorarbeiter der Zimmerleute sprechen.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, bahnte er sich einen Weg zu mir und deutete eine Verbeugung an. »Ihr seid Frederik von dem Kerkhof und als Gesandter des Grafen von Crange hier? – Der Herr Advocatus Fiscali schickt mich. Natürlich ist für Euch und Eure Begleitung für Platz gesorgt. Ich bitte Euch nur, rechtzeitig zu erscheinen, denn es wird ein schönes Gedränge geben.«
Mein prophetischer Vorarbeiter sollte Recht behalten. Nach zu wenigen Stunden Schlaf in einer überfüllten und zu lauten Herberge, in der bis in die frühen Morgenstunden gegrölt und Mord, Totschlag und anschließende Hinrichtungen in allen Farben durchdiskutiert worden waren, dass man es durch die Wände bis in die Schlafkammern hören konnte, fühlte ich mich gegenwärtig selbst wie ein Delinquent. Der Lärm ließ erst mit dem Morgengrauen nach, als sich die fröhlichen Zecher auf den Weg zum Lippeufer machten, um sich auf die mittägliche Vorstellung einen guten Ausblick zu sichern.
Ich fiel für wenige Stunden in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich gegen neun auftragsgemäß vom Wirt geweckt wurde. Mein Frühstück gestaltete sich, ebenfalls auf meinen Wunsch hin, nicht sonderlich opulent, denn in Erwartung der Szenen, die noch folgen mussten, wollte ich meinen Magen nicht über Gebühr belasten.
Ich saß bei meiner letzten Scheibe Brot, als ein übernächtigter Gernot den Schankraum betrat, dessen leicht unsichere Bewegungen verrieten, dass er noch weniger Schlaf bekommen hatte als ich. Aber er war jung, und nach einer heißen Brühe und einem Stück Schinken war er so munter wie eh und je.
»Sie glauben es tatsächlich«, stieß er schon während des Essens zwischen den Bissen hervor. »Sie sind wirklich davon überzeugt, dass Scharmann ein Werwolf ist. Sie behaupten sogar, dass er durch die Luft fliegen und sich unsichtbar machen kann.«
Ich hatte im Grunde nichts anderes erwartet. Dass ich ihn gestern losgeschickt hatte, um sich unter das Volk zu mischen und sich in der aufgewühlten Stimmung einer Masse umzuhören, die der Vernichtung einer Bestie entgegenfieberte, sollte vor allem der Bestätigung meiner Meinung dienen, dass hier kaum mit Fakten zu rechnen sei, die meinen Ermittlungen nützlich sein könnten.
Doch hatte mich andererseits die Lebenserfahrung gelehrt, dass bisweilen unter einem Berg von Kieseln doch ein Stein mit goldhaltigem Erz in seinem Inneren entdeckt werden konnte, wenn man es nur verstand, nach den richtigen Anzeichen zu suchen. Außerdem wollte ich mir später nicht vorwerfen müssen, nicht sorgfältig genug zu Werke gegangen zu sein und etwaige Spuren aus Nachlässigkeit ignoriert zu
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