Des Satans Schatten
es für mich so aus, als hätte er den Zeitpunkt seines Todes letzten Endes doch selber bestimmt. Wie hat er das gemacht, wenn er über keine übernatürlichen Kräfte verfügt?«
Angesichts dieser Folgerung konnte ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. »Habe ich dich endlich überzeugt, wenn ich dir diesen letzten Punkt erkläre? – Dann höre mir zu, ohne zu staunen.«
Ich erläuterte ihm die Sache mit dem Gift, das ich Scharmann gegeben hatte, und dass der arme Tropf keine Chance hatte, es zu nehmen, solange er noch die Schellen trug. Letztlich bekehrt schien er jedoch erst, als ich ihm meinen Besuch im Kerker in aller Breite schilderte, insbesondere aber den Zustand, in dem Scharmann sich dort befand, und was er bereits alles hatte erleiden müssen, um in diese körperliche Verfassung versetzt zu werden.
»Also war er kein Werwolf. – Doch warum hat er dann die drei Menschen gefressen? Ich habe in meinem Leben selber oft Hunger gehabt, wenn dieser Zustand, Gott sei Dank, auch schon lange zurückliegt. Aber Menschenfleisch essen ... pfui Teufel! Mir dreht sich der Magen um, wenn ich nur daran denke.«
»Ich habe auch noch kein Menschenfleisch gegessen und hoffe ebenfalls, dass es so bleiben wird. Indessen, ich habe von gelehrten Herren sowie von einem weit gereisten Handelsfahrer aus Terneuzen gehört, dass es auf der anderen Seite der Welt sehr wohl ganze Völker geben soll, bei denen ein getöteter Feind als die köstlichste aller Speisen gilt und das Verzehren von menschlichen Artgenossen durchaus an der Tagesordnung ist. Nun, wie auch immer, über Geschmack lässt sich nicht streiten. Und noch weniger über Tatsachen, welche nämlich in diesem Fall beweisen, dass Scharmann eindeutig mehrere Menschen getötet und Teile von ihnen gegessen hat. Klammern wir also diese zumindest in unseren Bereichen ungewöhnliche Tischsitte aus, bleibt die Erkenntnis, dass nichts Tierisches oder gar Teuflisches im Spiel war. Was wiederum bedeutet, dass die Leute des Trecks nicht von einem übernatürlichen Wesen getötet worden sind. Dies allein ist die Botschaft, die ich dem Grafen von Crange zu überbringen habe.«
Damit blieb allerdings die beunruhigende Situation bestehen, dass ich dem Grund des Verschwindens kein bisschen näher gekommen war.
Und noch etwas anderes beunruhigte mich. Während der ganzen Zeit auf der Lippewiese hatte ich das Gefühl gehabt, von jemandem beobachtet worden zu sein. Dies allein war sicher nicht schlimm. Was mich daran verunsicherte, war der Umstand, dass ich diesen Späher nicht hatte entdecken können.
Die erstochene Leiche
Wieder in Crange, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass meine Ankunft sehnlicher erwartet worden war als die des Messias. Die Zugbrücke war heruntergelassen und es standen sechs Wachen auf ihr. Zwischen ihnen ein zappeliger Rodger, der sofort, als er unserer ansichtig wurde, auf mich zugestürmt kam, um mich mit den neuesten Nachrichten zu versorgen.
Insgeheim hatten sie wohl alle darauf gehofft, dass ich mit der Botschaft zurückkommen würde: »Der Werwolf ist tot, es ist vorbei.« Aber es war nicht einmal so lange vorbei, bis ich wieder in Crange anlangte. Denn schon am heutigen Morgen hatte der Dorfpfarrer bei seinem Gang über den Friedhof ein Erlebnis gehabt, das ihn hatte so erzittern lassen, als habe der Satan persönlich seine Seele von ihm gefordert.
Als er, immer noch an allen Gliedern schlotternd, in der Burg aufgetaucht war und niemand anderen als den Grafen selbst sprechen wollte, konnte dieser seiner Rede immerhin so viel entnehmen, dass der Bruder Bertram wieder auferstanden war. Zwar nur als Leiche, aber er war samt seinem Sarg zurück auf die Erde gekommen.
Dort lag er neben seinem offenen Grab, und um alle Verwirrung komplett zu machen, steckte ein Dolch in seinem Herzen.
Zum Glück hatte der Pfarrer so viel Geistesgegenwart bewiesen, sich die Auswirkungen auszumalen, die ein solches Szenario auf seine Schäfchen haben könnte, die sich womöglich allesamt verflucht und von Dämonen verfolgt glauben möchten. Deshalb hatte er aus seinem Garten einige Bohnenstangen geholt, sie über die Grabstelle gelegt, und Bettücher darüber gebreitet.
So hatte der Graf den Tatort mit der erstochenen Leiche auch vorgefunden, den er sogleich durch seine Wachen abschirmen ließ. Und ich sollte mich dort unverzüglich einfinden.
Schon von weitem konnte man erkennen, dass die Bemühungen des Grafen um Geheimhaltung nicht von sonderlichem
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