Des Sieges bittere Tränen
die Lomonossow-Universität, den Sokolniki-Park, das Bolschoi-Theater, das Kaufhaus GUM, das größte der Welt: Und was ist daraus geworden?
Er drehte sich um. Das Abendrot verglühte in violetten Wolken. Romanowski sagte gerade »Schach!« und lehnte sich zufrieden zurück.
»Kann ich mit Major Borolenko sprechen?« fragte Hartung.
»Njet«, antwortete der Offizier.
Das Telefon klingelte. Der Offizier nahm ab, lauschte und hielt Hartung den Hörer hin.
»Ja? Hartung? Sie, Baron? Was? Angela in Moskau? Mein Gott, wo denn? Hier im Hotel? Ich darf nicht mit ihr sprechen? Baron, ich schlage gleich einen Krach, daß die Wände wackeln! Man soll Angela aus dieser Geschichte heraushalten! Danke, ich warte.«
Er legte auf. Romanowski stellte die Figuren zu einer neuen Schachpartie auf.
»Angela ist im Hotel«, sagte Hartung schwer atmend. »Borolenko kümmert sich um sie. Jetzt ist meine Geduld zu Ende!«
»Wat woll'n Se machen, Herrchen?«
Hartung blickte wieder aus dem Fenster. Über Moskau lag ein hellvioletter Dunst. Ein Bild wie aus einem Märchenbuch. »Laß uns ganz scharf überlegen! Wer konnte an unseren Transporter heran?«
»Keener. Det is et ja.«
»In West-Berlin sind wir verladen worden. Überlege mal, Pedro – hat da der Wagen allein gestanden?«
»Nee. Ick war imma bei Laska.«
»Auch als der Wagen schon auf der Waggonplattform festgemacht war?«
»Ooch. Dat heeßt …«
»Pedro, Mensch, überleg mal!«
»Ick hab in der Kantine vom Zoll jejessen.«
»Wie lange?«
»Na, 'ne Stunde vielleicht.«
»Und in der Zeit war Laska allein?«
»Det war am hellichten Mittag! Da klaut keener 'n Pferd!«
»Aber hinter der Polsterwand kann man Kokain verstecken!«
»Unmöglich! Jeden Fremden hätt meene Olle vor de Knochen jetreten …«
»Laska hat es nicht getan! Warum, das kann man jetzt nicht mehr feststellen. Vielleicht hatten sie ein Säckchen mit Hafer mit. Sie ist ein verfressenes Luder, das weißt du. Mein Gott, ja, so, nur so kann es gewesen sein.« Hartung wandte sich an den stummen sowjetischen Offizier. »Ich muß Major Borolenko sprechen. Major Borolenko. Verstehen Sie mich? Ich muß ihn sprechen.«
Der Offizier erhob sich wortlos und verließ das Zimmer.
Angela Diepholt hatte gerade die riesige Abfertigungshalle des Moskauer Flughafens Scheremetjewo betreten und wartete an dem Transportband auf ihren Koffer, als aus den großen Lautsprechern ihr Name ertönte.
»Angela Diepholt bitte zum Büro von Intourist. Angela Diepholt bitte zum Büro von Intourist.«
Sechsmal hintereinander. Eine höfliche, aber energische Stimme.
Angela gehorchte sofort.
Vor dem Schalter des sowjetischen Reisebüros ›Intourist‹ warteten ein kleiner Mann im grauen Anzug und zwei junge Frauen in blauen Kleidern auf Angela. Der kleine Mann verbeugte sich höflich.
»Borolenko. Jakow Nikitajewitsch. Wir freuen uns, Sie so schnell begrüßen zu können. Bitte, kommen Sie mit, gospoda Diepholt.«
Angela nickte verlegen und sah sich dann um. Die beiden Frauen hatten sie in ihre Mitte genommen. »Woher kennen Sie mich? Was wollen Sie von mir?«
»Baron Fallersfeld sagte uns, daß Sie mit dieser Maschine in Moskau landen.«
Der Name Fallersfeld beruhigte sie. »Er wollte mich abholen.«
»Leider ist er verhindert. Darum stehe ich Ihnen zur Verfügung. Bitte, gospoda, zunächst in diesen Raum. Gleich kommt Ihr Gepäck, dann sehen wir weiter.«
Ein sowjetischer Polizist kam nach fünf langen, schweigenden Minuten, in denen Angela spürte, daß irgend etwas nicht stimmte, mit den beiden Koffern. Borolenko betrachtete sie und tippte dann mit dem Zeigefinger darauf.
»Sie haben die Schlüssel. Bitte, öffnen Sie.«
»Sind Sie vom Zoll?«
»Nein. Vom MWD, falls Sie wissen, was das ist, gospoda.«
Gehorsam schloß Angela beide Koffer auf und klappte die Deckel hoch.
»Bitte!«
»Wenn ich Sie bitten darf, sie auszupacken. Alles bitte hierher auf den Tisch!«
Angela packte die Koffer aus. Jedes Stück, das sie herausholte, wurde von den beiden Frauen genau untersucht, abgetastet, gegen das Licht der starken Deckenlampe gehalten. Als die Koffer leer waren, klopfte Borolenko sie ab, riß das Futter ab, schnitt mit einem Taschenmesser die Böden auf. Fassungslos sah Angela ihm zu. Borolenko klappte sein Messer zusammen und hob zufrieden lächelnd die Schulter.
»Und was nun?« fragte Angela mit belegter Stimme. »Soll ich meine Wäsche unter dem Arm durch Moskau tragen?«
»Wir besorgen Ihnen
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