Des Teufels Alternative
nicht darauf einlassen, die beiden in ein deutsches Gefängnis zurückzuschicken, sobald die ›Freya‹ nicht mehr besetzt ist.«
Er brauchte dem amerikanischen Botschafter nicht zu erklären, was dieser bereits wußte – daß es hier nicht nur um die nationale Ehre seines Landes ging, sondern daß auch die Erklärung, erzwungene Versprechen seien nicht bindend, in diesem Fall nicht genügen würde. Der empörte Aufschrei der Nationalreligiösen Partei, der Gusch-Emunin-Extremisten, der Jüdischen Verteidigungsliga und der 100 000israelischen Wähler, die in den letzten zehn Jahren aus der Sowjetunion gekommen waren, würde jeden israelischen Ministerpräsidenten davon abhalten, sein Wort zu brechen und Mischkin und Lasareff nicht freizulassen.
»Na ja, es war ja auch nur ein Versuch«, meinte Präsident Matthews, als er eine halbe Stunde später vom Ergebnis der Demarche des amerikanischen Botschafters erfuhr.
»Wieder ein ›dritter Weg‹ weniger«, stellte David Lawrence fest, »selbst wenn Rudin sich darauf eingelassen hätte, was ich bezweifle.«
Es war eine Stunde vor Mitternacht. In fünf verschiedenen Washingtoner Ministerien brannte noch Licht; ebenso wie im Ovalen Zimmer und einem Dutzend weiterer Räume im Weißen Haus, in denen Männer und Frauen an Telefonen und Fernschreibern saßen und auf Meldungen aus Europa warteten. Die vier Männer im Arbeitszimmer des Präsidenten machten sich auf eine längere Wartezeit gefaßt. Es würde eine Weile dauern, bis die Reaktion des Terrorkommandos auf der Freya bekannt wurde.
Nach Ansicht der medizinischen Wissenschaft befindet der Mensch sich um 3 Uhr morgens in einem Stimmungstief: Dies ist die Stunde der Übermüdung, der langsamsten Reaktion und der trübseligsten Gefühlslage. Für die beiden Männer, die sich in der Kapitänskajüte der Freya gegenübersaßen, markierte diese Stunde zudem das Ende der ersten 24 Stunden seit der Besetzung des Tankers.
Beide hatten zwei Nächte lang nicht mehr geschlafen. Beide waren seit 44 Stunden wach. Beide waren blaß und hatten rot geränderte Augen.
Thor Larsen, der sich an Bord der Freya im ruhigen Mittelpunkt eines Wirbels weltweiter diplomatischer Aktivitäten, zahlloser Kabinettsitzungen und Konferenzen, Botschaften und Unterredungen, Planspielen und Beratungen befand, eines Wirbels, der von Moskau bis Washington die Lichter brennen ließ, spielte sein eigenes Spiel. Er setzte seine in vielen Berufsjahren erworbene Fähigkeit, lange wachzubleiben, gegen die Willenskraft des Fanatikers auf der anderen Seite des Tisches. Er wußte, daß er mit diesem Kalkül seine Besatzung und sein Schiff riskierte.
Larsen war sich darüber im klaren, daß der Mann, der sich Swoboda nannte – jünger als er und von einem inneren Feuer verzehrt, mit Nerven, die durch den Kaffee und die psychische Belastung bis zum Zerreißen angespannt waren –, ihn hätte fesseln oder einsperren lassen können, um sich selbst einige Stunden lang auszuruhen. Deshalb legte es der norwegische Kapitän darauf an, den Stolz seines Gegenübers herauszufordern. Er hoffte, daß der Mann die Herausforderung annehmen und sich weigern würde, nachzugeben und einzugestehen, daß er nicht so lange ohne Schlaf auskommen konnte wie sein Gefangener.
So war es Larsen, der durch sein Beispiel dafür sorgte, daß sie eine Tasse schwarzen Kaffees nach der anderen tranken, während er sich sonst pro Tag nur zwei bis drei Tassen Kaffee mit Milch und Zucker erlaubte. Er redete die ganze Nacht hindurch, provozierte den Ukrainer, indem er andeutete, dessen Unternehmen werde letztlich doch scheitern, und steckte zurück, wenn der andere wütend und damit gefährlich zu werden drohte. In den unzähligen Nächten, die er in seiner Ausbildungszeit gähnend durchwacht hatte, und in den langen Dienstjahren hatte der bärtige Hüne gelernt, nachts auf der Brücke hellwach zu bleiben, wenn andere dösten.
Larsen spielte sein eigenes Spiel – ohne Waffen und Munition, ohne Fernschreiber und Infrarotkameras, ohne Unterstützung und ohne Zuschauer. Alle technischen Raffinessen, die die Japaner in sein neues Schiff eingebaut hatten, nützten ihm im Augenblick nichts. Falls er den Mann, der ihm gegenübersaß, zu sehr reizte, riskierte er, daß dieser die Beherrschung verlor und ihn erschoß. Und falls der Ukrainer das Gefühl hatte, daß man seinen Forderungen nicht nachkam, konnte er jederzeit die Erschießung eines weiteren Besatzungsmitgliedes anordnen. Falls der
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