Des Teufels Kardinal
in Siena und hier in Lugano von der Malerin und Bildhauerin Véronique Vaccaro, einer ältlichen Bilderstürmerin, die Stein und Bein schwor, die Flüchtigen nie gesehen zu haben.
Roscani war auf dem Hubschrauberlandeplatz der hiesigen Polizei von dem Kriminalbeamten abgeholt worden, der Véronique Vaccaro als erster befragt hatte. Er hatte die Ermittlungsakten studiert, bevor sie zur Hausdurchsuchung losgefahren waren. Sie hatten keinen Hinweis darauf entdeckt, daß jemand während Signora Vaccaros kurzer Abwesenheit ihr Haus bewohnt hatte. Ein Nachbar hatte jedoch ausgesagt, gestern mittag habe für kurze Zeit ein weißer Kleinbus mit beschrifteten Türen vor dem Haus geparkt.
Und zwei Jungen, die nach dem Abendessen ihren Hund im Regen spazierengeführt hatten, wollten dort einen großen, dunkelgrauen Mercedes parken gesehen haben, der bei ihrer Rückkehr jedoch nicht mehr dagestanden hatte. Signora Vaccaros praktisch unwiderlegbares Alibi war, sie sei erst unmittelbar vor dem Eintreffen der Polizei von einem Camping- und Malausflug in den Bergen zurückgekommen.
Ebenso erfolglos waren Scala und Castelletti gewesen, die ihre Ermittlungen in Bellagio mit der Einvernahme von Monsignore Jean-Bernard Dalbouse, dem aus Frankreich stammenden Pfarrherrn der St.-Chiara-Kirche, und seiner Mitarbeiter abgeschlossen hatten. Das Endergebnis dieser ausführlichen Befragung war, daß alle leugneten, am Vortag um vier Uhr zwanzig über ein Mobiltelefon aus Siena angerufen worden zu sein. Über ein Mobiltelefon, das Mutter Fenti gehörte.
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Lügner. Lauter Lügner.
Weshalb?
Das verstand Roscani nicht. Jeder von ihnen riskierte eine lange Haftstrafe. Trotzdem hielten alle eisern dicht. Wen oder was versuchten sie zu schützen?
Roscani ging die stille Straße entlang weiter. Auch der in der Ferne sichtbare Luganer See lag so still da, daß seine Oberfläche einem Spiegel glich. Was tust du hier? fragte Roscani sich. Suchst du Hinweise, die alle anderen übersehen haben? Spielst du wieder mal die Bulldogge, wie du es von deinem Vater geerbt hast? Bewegst du dich in der Hoffnung, eine Antwort zu finden, nur endlos im Kreis? Oder wird dein Instinkt, der dich hergeführt hat, sich letztlich doch als richtig erweisen? Er holte eine zerdrückte Zigarettenpackung aus der Tasche, steckte sich eine unangezündete Zigarette in den Mundwinkel und machte kehrt, um zum Haus zurückzugehen.
Nach fünf Schritten sah er etwas. Es lag am Straßenrand unter einem überhängenden Zierstrauch, der verhindert hatte, daß der nächtliche Regen es ganz durchweichte. Es war ein auffällig langer brauner Umschlag mit einem Reifenabdruck.
Roscani warf seine Zigarette weg und bückte sich, um den Umschlag aufzuheben. Er war stärker mitgenommen, als auf den ersten Blick zu erkennen gewesen war, als sei ein nasser Reifen über ihn hinweggerollt und habe ihn erst nach mehreren Umdrehungen seitlich weggeschleudert. Auf seiner Vorderseite zeichnete sich ein langes, schmales Rechteck ab, als habe er einen steifen, harten Gegenstand enthalten.
Roscani kehrte sofort zum Haus zurück. Véronique Vaccaro, die wegen ihrer Vernehmung und der weiteren Anwesenheit der Polizei in ihrem Haus aufgebracht war, saß im Bademantel in ihrer Küche, hielt in einer Hand einen Becher Kaffee und trommelte mit den Fingern der anderen auf den Küchentisch, als lasse sich so der Abzug der ungebetenen Gäste beschleunigen. Roscani bat sie höflich um einen Haartrockner.
»Der Fön ist im Badezimmer«, antwortete sie unfreundlich. »Hätten Sie nicht Lust, auch ein Bad zu nehmen und ein Nickerchen in meinem Bett zu machen?«
400
Roscani lächelte Castelletti im Vorbeigehen schwach zu, ging ins Bad, nahm den Fön vom Wandhaken und trocknete den Umschlag damit.
Castelletti erschien an der Tür und beobachtete, wie Roscani den Umschlag auf der Kante des Waschbeckens glattstrich und dann mit der Mine seines Drehbleistifts darüberfuhr, als wolle er eine Frottage herstellen. Dabei zeichnete sich auf dem braunen Papier allmählich ab, was der Umschlag enthalten hatte.
»Jesus!« Roscani hörte plötzlich zu arbeiten auf.
Auf dem Umschlag vor ihnen erschienen die Buchstaben und Ziffern eines Diplomatenkennzeichens.
SCV 13.
»Vatikanstadt«, sagte Castelletti.
»Genau.« Roscani sah zu ihm auf. »Vatikanstadt.«
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Rom.
Donnerstag, 16. Juli, 5.30 Uhr
In der Morgendämmerung kurz vor halb sechs ließ Danny seinen Bruder in der baumbestandenen Via Nicolò V. vor
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