Des Teufels Kardinal
flüsterte er. Sie hatten nicht nur Rom erreicht, ohne aufgehalten zu werden, sondern befanden sich hier in einem Apartment, das kaum einen Steinwurf von Marscianos Gefängnis entfernt war.
Harry legte für eine Sekunde seine Stirn an die Fensterscheibe und schloß die Augen.
»Sie sind müde, Harry…« Elenas leise Stimme klang beruhigend, als spreche eine Mutter mit ihrem Kind.
»Ja«, murmelte er. Dann hob er wieder den Kopf und sah sie an.
Sie trug noch immer das Kostüm, das die Patres in Bellagio für sie aufgetrieben hatten, ihr Haar war noch immer zu einem strengen Nackenknoten zusammengefaßt. Harry hatte das Gefühl, sie erstmals nicht als Nonne, sondern als Frau zu sehen.
»Ich habe unterwegs geschlafen, Sie nicht«, stellte Elena fest. »Sie sollten sich etwas hinlegen, wenigstens bis Pater Bardoni kommt.«
»Ja, das…«, begann Harry. Aber dann wurde ihm schlagartig be-wußt, daß sie ein großes Problem hatten: Elena. Der Ernst dessen, was Danny und Pater Bardoni vorhatten, stand ihm plötzlich gefährlich real vor Augen, und er konnte auf keinen Fall zulassen, daß Elena hierblieb und dadurch in Gefahr geriet.
»Leben Ihre Eltern noch?« begann er unvermittelt.
»Was hat das damit zu tun, daß Sie Schlaf brauchen?« Sie legte den Kopf leicht zur Seite und beobachtete ihn mit einem gewissen Miß-
trauen.
»Wo wohnen sie?«
»In der Toskana.«
»Wie lange fährt man dorthin?«
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»Warum?«
»Das ist wichtig.«
»Mit dem Auto ungefähr zwei Stunden. Auf der Fahrt hierher sind wir durch die Toskana gekommen.«
»Und Ihr Vater hat ein Auto? Er fährt selbst?«
»Warum?«
»Hat er ein Auto?« wiederholte Harry drängender. »Fährt er selbst?«
»Natürlich.«
»Ich möchte, daß Sie ihn anrufen und bitten, nach Rom zu kommen.«
Plötzlich wußte Elena, worauf er hinauswollte. Sie lehnte sich an die Wand und verschränkte trotzig die Arme.
»Das kann ich nicht tun.«
»Wenn er jetzt gleich abfährt, Elena«, sagte Harry, indem er ihren Namen betonte, als wolle er dadurch jeglichen Widerstand im Keim ersticken, »kann er kurz nach acht Uhr hier sein. Spätestens um halb neun. Sagen Sie ihm, daß er unten vor dem Haus parken und im Wagen bleiben soll. Sobald Sie ihn sehen, kommen Sie herunter, und er soll sofort mit Ihnen wegfahren. Dann weiß kein Mensch, daß Sie jemals hiergewesen sind.«
Elena fühlte ihre Empörung wachsen. Wie konnte er sich anmaßen, ihr Vorschriften zu machen? Sie dachte nicht daran, aus gerechnet ihren Vater anzurufen, um sich von ihm wie irgendein Schulmädchen, das sich am Morgen danach in der Großstadt ausgesetzt wie-derfindet, abholen zu lassen.
»Tut mir leid, Mr. Addison«, antwortete sie spitz, »aber ich bin für Pater Daniel verantwortlich. Und ich bleibe bei ihm, bis ich offiziell von meinem Auftrag entbunden werde.«
»Das ist ganz einfach, Schwester Elena.« Harry funkelte sie an.
»Sie sind hiermit offiziell…«
»Von meiner Mutter Oberin!« sagte Elena, indem sie jedes einzelne Wort betonte.
Danach herrschte zunächst Schweigen. Die beiden starrten sich an.
Keiner von ihnen merkte, daß dies ihr erster Krach unter Liebenden war und daß einer von ihnen eben einen tiefen Strich im Sand gezo-405
gen hatte, den der andere nicht ungestraft überschreiten durfte. Aber wie diese Kraftprobe ausgegangen wäre, sollte offenbleiben.
Die Schlafzimmertür flog mit einem Krachen auf und knallte an die Wand.
»Harry!«
Danny kam ins Wohnzimmer geschossen. Er hatte angstvoll gewei-tete Augen, trieb seinen Rollstuhl mit beiden Händen vorwärts und hatte ein Mobiltelefon in seinem Schoß liegen.
»Ich kann Pater Bardoni nicht erreichen! Ich habe drei Nummern, die er mir gegeben hat. Auch die seines Mobiltelefons, das er ständig bei sich hat. Ich habe es mit allen versucht. Aber er meldet sich nicht!«
»Nicht aufregen, Danny.«
»Harry, er hätte vor einer Viertelstunde kommen sollen! Wäre er hierher unterwegs, würde er sich wenigstens über sein Mobiltelefon melden!«
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Harry bog auf die Via del Parione ab und folgte ihr. Auf seiner Armbanduhr war es jetzt sieben Uhr fünfundzwanzig, fast eine Stunde nach dem Zeitpunkt, zu dem Pater Bardoni sich in der Wohnung mit ihnen hätte treffen sollen. Im Weitergehen versuchte er nochmals, Bardoni mit dem Mobiltelefon zu erreichen, das Adrianna ihm gegeben hatte.
Wieder nichts.
Sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, daß Pater Bardoni aus irgendwelchen Gründen aufgehalten worden
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