Des Teufels Kardinal
einem älteren, aber sehr gepflegten zweistöckigen Apartmentgebäude halten.
Harry und Elena brachten Danny im Rollstuhl mit dem kleinen Lift ins Obergeschoß hinauf, wo er einen Schlüsselbund hervorzog, den Pater Bardoni ihm in Lugano übergeben hatte. Danny wählte einen der Schlüssel aus und sperrte damit die Tür der nach hinten hinausführenden geräumigen Vierzimmerwohnung Piano 3a auf.
Sobald sie in der Wohnung waren, mußte Danny sich, von der langen Autofahrt sichtlich erschöpft, hinlegen. Nachdem Harry sich kurz in dem Apartment umgesehen hatte, warnte er Elena, niemanden außer ihm einzulassen, und ging wieder.
Harry parkte den Mercedes nach Dannys Anweisungen einige Stra-
ßen weiter, schraubte die vatikanischen Kennzeichen ab und ersetzte sie durch die originalen Nummernschilder. Dann sperrte er die Schlüssel im Wagen ein und ging mit den ausgetauschten Kennzeichen unter seiner Jacke davon. Eine Viertelstunde später war er wieder in der Via Nicolò V. und fuhr mit dem Aufzug ins Obergeschoß des Apartmentgebäudes. Inzwischen war es nach sechs Uhr. In knapp zwanzig Minuten würde Pater Bardoni kommen.
Das alles gefiel Harry nicht. Die Idee, Danny könnte es in seinem geschwächten Zustand gemeinsam mit Pater Bardoni schaffen, Marsciano aus dem Vatikan zu befreien, erschien ihm verrückt. Aber Danny war fest entschlossen, es zu versuchen, und Pater Bardoni offenbar auch. Nach Harrys Überzeugung konnte die ganze Sache nur damit enden, daß Danny bei diesem verrückten Befreiungsunter-nehmen umkam. Genau das schien Palestrinas Plan zu sein.
Dazu kam eine weitere Überlegung: Hatte Farel im Auftrag Palestrinas versucht, Danny die Ermordung des Kardinalvikars anzuhängen, mußte Palestrina persönlich hinter diesem Attentat stecken. Und Marsciano wußte davon, sonst wäre er jetzt nicht Palestrinas Gefan-402
gener gewesen. Das alles wies darauf hin, daß Marsciano bei Danny gebeichtet haben mußte. Gelang es Palestrina also, Danny beseitigen zu lassen, hatte er die einzige zu ihm führende Spur verwischt.
Wem konnte Harry darüber berichten: Roscani? Adrianna? Eaton?
Aber was hätte er ihnen sagen können? Seine Schlußfolgerungen basierten nur auf Vermutungen. Selbst wenn er Beweise gehabt hät-te, war der Vatikan ein souveräner Staat außerhalb der Zuständigkeit der italienischen Justiz. Das bedeutete, daß kein Außenstehender das Recht hatte, dort einzugreifen. Doch wenn sie untätig blieben, und darunter litt Danny, würde Marsciano umgebracht werden. Genau das wollte Danny unter Einsatz des eigenen Lebens um jeden Preis verhindern.
»Verdammt«, murmelte Harry vor sich hin, als er das Apartment betrat und die Wohnungstür hinter sich absperrte. Er steckte ebenso in der Patsche wie Danny. Nicht nur, weil er dessen Bruder war, sondern weil er Danny versprochen hatte, er werde alles in seiner Macht Stehende tun, um ihn nicht wie damals Madeline zu verlieren.
Wieso hatte er das getan? Warum zum Teufel hatte er seinem Bruder ein derartiges Versprechen geben müssen?
»Ich bin noch nicht oft in Rom gewesen, deshalb habe ich nicht gleich erkannt, wo wir hier sind…«
Harrys trübselige Überlegungen wurden unterbrochen, als Elena lebhaft auf ihn zukam.
»Wie meinen Sie das?«
»Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«
Elena führte ihn im Wohnzimmer an das große Fenster, dessen Vorhänge sie aufgezogen hatte. Jetzt war zu erkennen, daß sich direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite eine hohe gelbe Ziegelmauer erhob, die nach beiden Seiten so weit reichte, wie Harry sehen konnte. Rechts dahinter standen einige wenig bemerkenswerte Ge-bäude, während links Baumwipfel aufragten, als umschließe die Mauer einen großen Park.
»Ich verstehe nicht recht…«, sagte Harry, der Elenas Interesse nicht deuten konnte.
»Das ist der Vatikan, Mr. Addison. Zumindest ein Stück davon.«
»Wissen Sie das bestimmt?«
403
»Ja. Ich habe die Gärten jenseits der Mauer schon selbst besich-tigt.«
Harry sah wieder auf die andere Straßenseite hinüber und versuchte, irgendein bekanntes Gebäude zu finden, um beurteilen zu können, wo sie sich in bezug auf die Vorderfront und den Petersplatz befanden. Das gelang ihm jedoch nicht. Als er Elena weiter befragen wollte, sah er zufällig auf: Was er für den Himmel gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein noch im Schatten liegendes riesiges Gebäude, dessen Kuppel bereits von der Sonne beschienen wurde. Er hatte den Petersdom genau vor sich.
»Elena!«
Weitere Kostenlose Bücher