Des Teufels Kardinal
Hand zitterte, als er langsam danach griff und die Kordel aufzog.
Draußen hob ein Gärtner ruckartig den Kopf, als ein gräßlicher Schrei aus dem Turm gellte.
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10.25 Uhr
Roscani ging allein die Via Innozenzo III. entlang. Es war heiß, und der Tag würde noch heißer werden, wenn die Sonne höher stieg. Vor ihm lag die Stazione San Pietro. Er war zweihundert Meter entfernt aus dem Auto gestiegen und hatte Scala und Castelletti zum Bahnhof weiterfahren lassen. Sie würden von zwei Seiten in den Bahnhof kommen, der eine kurz vor Roscani, der andere unmittelbar nach ihm. Sie sollten nach Harry Addison Ausschau halten, ohne ihn jedoch festzunehmen, solange er nicht zu flüchten versuchte. Dahinter steckte die Absicht, Roscani die Möglichkeit zu geben, ganz locker und ungezwungen mit dem Gesuchten zu reden; trotzdem sollten die beiden Kriminalbeamten sich ihm in den Weg stellen können, falls er fliehen wollte. Außer den beiden war keine Polizei aufmarschiert, waren keine Absperrungen errichtet. Das hatte Roscani versprochen.
Addison hatte sich geschickt verhalten. Sein Anruf war um zehn Uhr zwanzig in der Telefonzentrale des Polizeipräsidiums eingegangen. Er hatte lediglich gesagt:
»Mein Name ist Harry Addison. Roscani sucht mich.«
Dann hatte er die Nummer seines Mobiltelefons angegeben und die Verbindung unterbrochen. In dieser Zeit war es nicht möglich gewesen, feststellen zu lassen, von wo der Anruf kam.
Fünf Minuten später hatte Roscani ihn von dort aus angerufen, wo er sich befand, seit ihr Flugzeug in Rom gelandet war und er mit Scala und Castelletti an den Tatort gefahren war – aus Pater Bardonis Wohnung.
Roscani: Hier ist Roscani.
Harry Addison: Wir sollten miteinander reden.
Roscani: Wo sind Sie?
Harry Addison: Auf dem Bahnhof St. Peter.
Roscani: Bleiben Sie dort. Ich komme hin.
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Harry Addison: Roscani, kommen Sie allein. Sie werden mich nicht erkennen, weil mein Aussehen sich verändert hat. Sehe ich irgendwo Polizei, verschwinde ich sofort wieder.
Roscani: Wo auf dem Bahnhof?
Harry Addison: Ich finde Sie.
Roscani überquerte die Straße und näherte sich dem Bahnhofsgebäu-de. Er dachte daran, wie er Harry Addison ursprünglich hatte aufspü-
ren wollen: allein, mit einer Waffe in der Hand, um ihn wegen des Mordes an Gianni Pio zu erschießen. Aber die weitere Entwicklung der Dinge war komplexer gewesen, als er sich jemals hätte träumen lassen.
Falls Harry Addison sich wie versprochen auf dem Bahnhof aufhielt, befand er sich außerhalb des Vatikans. Und Roscani hoffte, daß das auch auf Pater Daniel zutraf. Vielleicht bot sich ihm noch eine Chance, bevor Taglia und die Politiker dafür sorgten, daß seine Ermittlungen im Sande verliefen.
Harry beobachtete, wie Roscani von der Straße hereinkam, die Bahnhofshalle durchquerte und auf dem Bahnsteig stehenblieb.
Die Stazione San Pietro war klein, ein unbedeutender Bahnhof an einer Nebenstrecke durch Rom. Hier warteten nur wenige Fahrgäste.
Ein Blick in die Runde zeigte Harry einen Mann in Sportsakko und Krawatte, der ein Kriminalbeamter hätte sein können. Aber dieser Mann war ihm schon kurz vor Roscanis Ankunft aufgefallen, so daß schwer zu beurteilen war, ob er zu Roscani gehörte.
Er verließ den Bahnhof durch einen anderen Ausgang, ging um das Gebäude herum und kam aus der entgegengesetzten Richtung den Bahnsteig entlang, langsam, ohne irgendwelche Eile. Ein Priester, der hier auf seinen Zug wartete; ein Priester, der seinen gefälschten Reisepaß vorsichtshalber unter dem Kühlschrank in dem Apartment in der Via Nicolò V. zurückgelassen hatte.
Durch einen anderen Eingang sah er einen weiteren Mann den Bahnhof betreten. Sein Hemdkragen war aufgeknöpft, aber er trug ein Sportsakko wie der erste Mann.
Nun wurde Roscani auf ihn aufmerksam und beobachtete, wie er näher kam.
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Harry blieb gut drei Meter von ihm entfernt stehen. »Sie sollten allein kommen.«
»Ich bin allein.«
»Nein, Sie haben zwei Männer mitgebracht.« Das war lediglich ei-ne Vermutung, aber Harry war sicher, daß sie zutraf. Der eine Mann war noch im Bahnhofsgebäude, aber der andere war auf den Bahnsteig herausgekommen und beobachtete sie ungeniert.
»Halten Sie Ihre Hände so, daß ich sie sehen kann.« Roscani ließ Harry nicht aus den Augen.
»Ich bin nicht bewaffnet.«
»Tun Sie, was ich Ihnen sage!«
Harry verschränkte die Arme. Er fühlte sich unsicher und unbehaglich.
»Wo ist Ihr Bruder?« Roscanis Stimme klang
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