Des Teufels Kardinal
völlig ausdruckslos.
»Er ist nicht hier.«
»Wo ist er?«
»Woanders. In einem Rollstuhl. Er hat sich die Beine gebrochen.«
»Aber sonst fehlt ihm nichts?«
»Nicht viel.«
»Die Krankenschwester ist noch bei ihm? Schwester Elena Voso?«
»Ja.«
Harry fühlte, wie ein emotionaler Ruck durch ihn ging, als Roscani Elenas Namen sagte. Er hatte mit seiner Vermutung recht behalten, die Polizei werde Elena anhand der in der Grotte zurückgelassenen Gegenstände identifizieren. Und jetzt wußte er, daß sie als Komplizin galt. Er hatte sie immer aus dieser Sache heraushalten wollen, aber jetzt war sie darin verwickelt, ohne daß er es ändern konnte.
Plötzlich sah er sich um. Auch der zweite Mann war inzwischen auf den Bahnsteig gekommen und hielt wie sein Kollege reichlich Abstand. Hinter ihm alberte und schwatzte eine auf ihren Zug wartende Teenagergruppe.
»Sie tun gut daran, mich nicht zu verhaften, Roscani, zumindest nicht sofort.«
»Warum haben Sie mich angerufen?« Roscani beobachtete ihn weiter. Er wirkte energisch und sehr konzentriert. Genau so, wie Harry ihn in Erinnerung hatte.
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»Weil wir miteinander reden müssen.«
»Worüber?«
»Wie wir Kardinal Marsciano aus dem Vatikan herausholen können.«
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Sie fuhren im Mittagsverkehr durch Rom. Harry und Roscani saßen auf dem Rücksitz, Scala auf dem Beifahrersitz, Castelletti am Steuer.
Es ging den Tiber entlang, dann auf das andere Flußufer hinüber und zum Kolosseum, die Via di San Gregorio hinunter, an den Ruinen auf dem Palatinischen Hügel und am Circus Maximus vorbei, dann die Via Ostiense entlang und zur EUR, der Espositione Universale Roma – eine große Stadtrundfahrt, auf der man reden konnte, ohne gesehen zu werden.
Und Harry redete wie ein Buch, während er ihnen alle Umstände des Falls möglichst klar und deutlich darzulegen versuchte.
Der einzige Mensch, so erklärte er ihnen, der die Hintergründe des Attentats auf den Kardinalvikar von Rom, der Ermordung ihres Kollegen Gianni Pio und vermutlich auch des Busattentats aufklären konnte, war Kardinal Nicola Marsciano, der von Kardinal Palestrina im Vatikan gefangengehalten wurde, keinerlei Verbindung zur Au-
ßenwelt hatte und vermutlich in Lebensgefahr schwebte.
Das wußte Harry, weil Pater Daniel Addison, sein Bruder, es ihm erzählt hatte. Er war seine einzige Informationsquelle. Aber auch sie deutete die Wahrheit nur an; detaillierte Auskünfte hatte Pater Daniel von Kardinal Marsciano bei einer Beichte erhalten, die Palestrina heimlich hatte aufzeichnen lassen.
Um Pater Daniel als Mitwisser zu beseitigen, hatte Palestrina angeordnet, ihn zu ermorden. Um Marsciano weiter unter Druck setzen zu können, hatte Jakow Farel schon vorher durch gefälschtes Beweismaterial dafür gesorgt, daß Pater Daniel als Mörder des Kardinalvikars verdächtigt wurde. Und als Palestrina dann später vermutet hatte, Pater Daniel lebe noch, mußte er den Mord an Pio befohlen haben, denn unmittelbar darauf war Harry entführt und gefoltert worden, damit er den Aufenthaltsort seines Bruders verriet.
»Dabei ist dann der Videofilm entstanden, in dem Sie Ihren Bruder aufgefordert haben, sich zu stellen«, warf Roscani ein.
Harry nickte. »Ich habe nach der Folter noch unter Schock gestanden. Was ich sagen sollte, ist mir durch einen Ohrhörer vorgesagt worden.«
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Roscani äußerte sich lange nicht dazu, sondern saß nur da und schaute den Amerikaner prüfend an.
»Warum?« fragte er schließlich.
Harry zögerte. »Weil dahinter noch mehr steckt«, sagte er dann.
»Ein weiterer Teil von Marscianos Beichte.«
»Welch er weitere Teil?« Roscani beugte sich gespannt nach vorn.
»Er hängt mit der Katastrophe in China zusammen.«
»China?« wiederholte Roscani verständnislos. »Sie meinen das Massensterben?«
»Ja.«
»Was hat das mit den hiesigen Ereignissen zu tun?«
Das war der Aufhänger, nach dem Harry gesucht hatte. Auch wenn Danny Marsciano liebte und verehrte, war die Idee verrückt, Harry, Elena und er könnten ihn allein befreien. Aber mit Roscanis Hilfe hatten sie vielleicht eine Chance. Außerdem war Kardinal Marsciano der einzige Mensch, dessen Aussage beweisen konnte, daß sie alle drei unschuldig waren. Vor allem deshalb war Harry hier, hatte er das Risiko auf sich genommen, Roscani anzurufen und sich mit ihm zu treffen.
»Was ich dazu sagen könnte, Ispettore capo, würde auf Hörensagen beruhen und wäre damit wertlos. Und als Priester darf mein
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