Des Teufels Kardinal
sahen beide, wie Danny litt. Er war durch das Beichtgeheimnis gebunden, andererseits waren Hunderttausende von Menschen in Lebensgefahr, so daß er etwas tun mußte. Dabei konnte er sich nicht stur ans Kirchenrecht halten.
Danny ließ seinen Rollstuhl etwas zurückrollen, ohne Harry aus den Augen zu lassen. »Ich möchte, daß du sofort aus der nächsten Telefonzelle Adrianna Hall anrufst. Dann suchst du dir eine andere Telefonzelle, um Eaton anzurufen. Erzähle ihm, was du von mir gehört hast und daß Adrianna ihm den Filmausschnitt besorgt. Sag ihm, daß er den chinesischen Geheimdienst verständigen soll, damit die Chinesen den Mann mit der Aktentasche aufspüren. Und daß höchste Eile geboten ist! Sonst tragen die Leute in Peking die Verantwortung für weitere Zehntausende von Todesopfern.«
Harry zögerte nur kurz, dann zeigte er auf das Tischchen neben der Tür. »Da steht das Telefon, Danny. Warum rufst du Eaton nicht selbst an?«
»Er darf nicht wissen, wo wir sind.«
»Warum nicht?«
»Eaton würde mehr von mir wissen wollen und vor nichts zurück-schrecken, um weitere Informationen aus mir herauszuholen. Auch wenn er dazu uns drei illegal einsperren müßte. Tut er das«, Dannys Stimme sank zu einem heiseren, erschöpften Flüstern herab, »stirbt Kardinal Marsciano.«
Elena sah den Ausdruck in Harrys Blick. Sie sah, wie er seinen Bruder lange anstarrte, bevor er langsam nickte und knapp »okay!«
sagte. Sie wußte, daß Harry ihr Vorhaben für wenig ratsam, sogar für falsch hielt. Aber trotzdem schien er Dannys spezielles Verhältnis zu Kardinal Marsciano wortlos zu akzeptieren und sogar zu verstehen, warum Danny alles riskieren würde, um ihn zu retten.
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Durch seine Einwilligung hatte Harry seinem Bruder nicht nur gezeigt, wie sehr er ihn liebte, sondern zugleich auch Dannys Sache zu seiner gemacht: Sie würden in die Heilige Stadt eindringen, den im Turm gefangengehaltenen Prinzen befreien und lebend mit ihm entkommen. Ein ritterliches, tollkühnes Vorhaben, das selbst mit Pater Bardonis Hilfe schwierig genug gewesen wäre. Aber Pater Bardoni war tot, deshalb ruhte sein Teil der gemeinsamen Last jetzt ganz auf Harrys Schultern. Und Elena spürte, wie er damit zurechtzukommen und festzustellen versuchte, wo sie standen und wie es weitergehen sollte. Dann sah Harry plötzlich zu ihr hinüber und erwiderte sekundenlang ihren Blick, bevor er zur Tür ging und die Wohnung als bärtiger junger Priester verließ.
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Peking, Villenkolonie Zhongnanhai.
Donnerstag, 16. Juli, 15.05 Uhr
Für Yan Yeh war dies ein Schreckenstag gewesen. Die ersten Meldungen aus Wuxi waren kurz vor zehn Uhr morgens eingegangen.
Innerhalb einer Viertelstunde hatte das Volkskrankenhaus Nummer vier ein Dutzend Patienten mit Brechdurchfall und Magen- und Darmblutungen aufgenommen. Praktisch gleichzeitig kamen ähnliche Meldungen aus den Volkskrankenhäusern Nummer eins und zwei. Um elf Uhr dreißig konstatierte das Zentrum für chinesische Medizin eine Epidemie mit über siebenhundert Erkrankten und bisher zweihunderteinundsiebzig Toten.
Die Wasserversorgung war sofort unterbrochen, die Polizei und sämtliche Katastrophendienste waren alarmiert worden. Die Groß-
stadt Wuxi befand sich am Rande einer unkontrollierbaren Panik.
Um dreizehn Uhr waren schon über zwanzigtausend Vergiftete registriert, von denen Elfeinhalbtausend bereits gestorben waren, darunter Yan Yehs Schwiegermutter und zwei ihrer Brüder. Soviel hatte er in Erfahrung bringen können. Wo seine Frau und sein Sohn waren, ob sie überhaupt noch lebten, ließ sich nicht feststellen. Nicht einmal ein Machtwort Wu Xians, des allgewaltigen Generalsekretärs der KP, hatte in dieser Beziehung Klarheit schaffen können. Aber die Ereignisse sprachen eine deutliche Sprache. Pierre Weggen wurde in die Villenkolonie Zhongnanhai zurückgerufen.
Kurz nach fünfzehn Uhr setzte Yan Yeh sich zutiefst erschüttert und sorgenvoll, weil er noch immer nichts von Frau und Kind wußte, mit seinem Schweizer Freund an den Tisch, an dem bereits Wu Xian und zehn grimmig dreinblickende führende Mitglieder des Politbüros Platz genommen hatten. Das Gespräch dauerte nicht lange. Die Anwesenden waren sich darüber einig, den Schweizer Investmentbanker damit zu beauftragen, das von ihm vorgeschlagene Firmenkonsorti-um zu bilden, das sich sofort an die gigantische Aufgabe machen sollte, Chinas Wasser- und Wasserkraftwerke binnen zehn Jahren vollständig zu erneuern. Eile
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