Des Teufels Kardinal
funktionieren. Es würde zu sehen sein.
Plötzlich sprach eine Stimme ihn scharf auf italienisch an. Sie ge-hörte dem Mann, glaubte er, der Bedenken geäußert hatte, während er ihm den Ohrhörer anzupassen versuchte. Dann stieß jemand ihn von hinten an, so daß er stolperte und fast hingefallen wäre. Aber er fing sich wieder und wußte nun wenigstens, daß seine Hände noch gefesselt, aber seine Füße frei waren. Er bewegte sich selbständig und glaubte, Verkehrsgeräusche zu hören. Seine Benommenheit ließ so weit nach, daß er sich sagte, wenn er gehen könne, könne er auch rennen. Aber er war praktisch blind und konnte seine Hände nicht gebrauchen.
Die fremde Hand stieß ihn nochmals an, kräftig. Er knallte lang hin und schrie auf, als er sich sein Gesicht am Asphalt aufschürfte. Er wollte sich zur Seite wälzen, aber ein schwerer Fuß auf seinem Rük-ken hinderte ihn daran. Irgendwo in der Nähe mühte ein Mann sich keuchend ab; dann klirrte etwas, und er hörte Metall auf Stein schar-ren. Im nächsten Augenblick wurde er an den Schultern hochgerissen 102
und fühlte seinen Körper über eine Kante gleiten. Seine Füße berührten etwas Hartes, und er wurde gezwungen, eine Leiter hinunterzu-steigen. Dabei verschwand das wenige Restlicht, und Fäkalienge-stank überlagerte alles.
Eine zweite Männerstimme, die in gewissen Abständen fluchte, hallte laut wider. Fließendes Wasser gurgelte. Der Gestank war überwältigend. Und nun wußte Harry, wo er war: in einem Abwasserkanal.
Die Männer sprachen italienisch miteinander.
»Prepararsi?«
»Si.« Die Stimme des Mannes mit dem Ohrhörer.
Harry spürte, daß jemand an seinen gefesselten Handgelenken riß.
Dann waren seine Hände plötzlich frei.
Klick. Das unverkennbare metallische Geräusch, mit dem der Hammer eines Revolvers zurückgezogen wurde.
»Sparagli.« Erschieß ihn.
Harry wich reflexartig einen Schritt zurück und schlug die: Hände vors Gesicht.
»Sparagli!«
Unmittelbar danach donnerte ein lauter Schußknall. Etwas; schmetterte gegen seine Hand und gegen seinen Kopf. Die Gewalt dieses Schlags warf ihn rückwärts ins Wasser.
Harry sah weder das Gesicht des Schützen, der jetzt über ihm stand, noch das des zweiten Mannes, der die Taschenlampe hielt. Er sah nicht, was die beiden sahen: einen Blutstrom, der über seine linke Gesichtshälfte floß, in seinem Haar versickerte und ins schmutzige Wasser tropfe.
»Morto«, flüsterte eine Stimme.
»Si.«
Der Schütze kniete nieder, wälzte Harry über eine Kante ins tiefere Wasser und beobachtete, wie die Strömung ihn davontrug.
»I topi faranno il resto.«
Die Mäuse erledigen den Rest.
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24
Questura di Roma, Polizeipräsidium
Harry Addison saß auf einem Stuhl, hatte einen Verband über der linken Schläfe und trug das beige Polohemd, die Jeans und die Pilotenbrille, die er getragen hatte, als er gestern kurz nach dreizehn Uhr dreißig sein Hotel verlassen hatte. Vor fast dreißig Stunden.
Das Päckchen mit dem fünfzehn Sekunden langen Videofilm, der den flüchtigen Harry Addison zeigte, war nachmittags um fünfzehn Uhr fünfundvierzig bei der Sala Stampa della Santa Sede, der Presse-stelle des Heiligen Stuhls, anonym für den Papst abgegeben worden.
Es war in ein Regal gelegt und erst gegen sechzehn Uhr fünfzig ge-
öffnet worden. Der Videofilm war dann sofort zu Farels Dienststelle geschickt, vom Wachhabenden angesehen und an Farel weitergeleitet worden. Jetzt, um achtzehn Uhr, saßen Farel, Marcello Taglia, Chef der Gruppo Cardinale, Roscani, die Kriminalbeamten Castelletti und Scala, die wegen des Mordes an Pio ermittelten, und ein halbes Dutzend weiterer Männer in einem Vorführraum und sahen sich den Film an.
»Danny, ich bitte dich, aus deinem Versteck zu kommen… dich zu stellen.« Harry sprach englisch, und ein Dolmetscher aus Roscanis Dienststelle übersetzte das Gesagte ins Italienische.
Soviel festzustellen war, saß Harry Addison in einem abgedunkel-ten Raum allein auf einem hohen Hocker. An der Wand hinter ihm war eine auffällig gemusterte Prägetapete zu sehen. Außer der Tapete und Harry mit Sonnenbrille und Kopfverband war nichts zu erkennen.
»Sie wissen alles… Bitte, tu’s für mich… Stell dich bitte der Polizei… Bitte…« Darauf folgte eine Pause, nach der Harry den Kopf hob, als wolle er etwas hinzufügen, aber in diesem Augenblick endete der Videofilm.
»Warum hat mir keiner gesagt, daß der Priester vielleicht noch lebt?« Als
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