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Des Teufels Kardinal

Des Teufels Kardinal

Titel: Des Teufels Kardinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allan Folsom
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zuvor, »wie geht es Ihrem Bruder? Wie ich gehört habe, ist er gesund und munter.«
    Im nächsten Augenblick wurde Harry das Heftpflaster vom Mund gerissen. Und er schrie ebenso aus Überraschung wie aus Schmerz auf.
    »Wo ist er?« Die Stimme war jetzt näher als zuvor.
    »Ich… weiß… nicht, ob er… lebt.« Harrys Mund und Kehle waren ausgetrocknet. Er versuchte, genügend Feuchtigkeit anzusammeln, um schlucken zu können, aber das gelang ihm nicht.
    »Ich habe nach Ihrem Bruder gefragt. Wo er ist.«
    »Kann ich bitte etwas Wasser haben?«
    Kind hielt eine kleine Fernbedienung in der Hand. Sein Daumen fand den Einschaltknopf und berührte ihn.
    Im selben Augenblick sah Harry in der Ferne einen Lichtpunkt leuchten und fuhr zusammen. Sah er ihn wirklich, oder war das nur eine Illusion?
    »Wo ist Ihr Bruder, Genosse?« Diesmal erklang die Stimme hinter seinem linken Ohr.
    Der Lichtpunkt bewegte sich langsam auf ihn zu.
    »Das«, Harry versuchte erneut zu schlucken, »weiß ich nicht.«
    »Sehen Sie das Licht?«
    »Ja.«
    Der Lichtpunkt kam näher.
    »Gut.«
    Kinds Daumen berührte einen anderen Knopf.

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    Harry sah, wie der Lichtstrahl seine Richtung leicht veränderte. Er bewegte sich auf sein linkes Auge zu.
    »Ich möchte, daß Sie mir sagen, wo Ihr Bruder ist.« Die Stimme war auf die andere Seite gewechselt und flüsterte nun in sein rechtes Ohr. »Es ist sehr wichtig, daß wir ihn finden.«
    »Ich weiß nicht, wo er ist.«
    Das Licht bewegte sich jetzt auf sein linkes Auge zu und wurde stetig heller. Harry hatte seine tobenden Kopfschmerzen vergessen, als er plötzlich gefürchtet hatte, erblindet zu sein. Aber das Licht ver-schlimmerte sie wieder. Ein langsam pulsierendes Dröhnen, das um so heftiger schmerzte, je heller das Licht wurde.
    Harry fuhr zusammen, wollte seinen Kopf nach rechts wegdrehen.
    Etwas Hartes hinderte ihn jedoch daran. Auch nach links konnte er den Kopf nicht bewegen. Dann versuchte er, ihn in den Nacken zu legen, konnte dem Licht aber nicht entkommen.
    »Bisher spüren Sie keinen Schmerz. Aber der kommt noch.«
    »Bitte!« Harry drehte seinen Kopf so weit wie möglich zur Seite und kniff dabei die Augen zusammen.
    »Das nützt nichts.« Das Timbre der Stimme klang plötzlich anders.
    Erst war sie eine Männerstimme gewesen, jetzt klang sie wie die einer Frau.
    »Ich habe keine Ahnung, ob mein Bruder überhaupt lebt. Wie soll ich wissen, wo er ist?«
    Der Lichtpunkt wurde noch kleiner und intensiver; er wanderte langsam über Harrys linkes Auge, bis er die Pupille gefunden hatte.
    »Nein, bitte nicht!«
    »Wo ist Ihr Bruder?«
    »Tot!«
    »Nein, Genosse. Er lebt, und Sie wissen, wo er ist.«
    Der Lichtpunkt war nur noch eine Handbreit entfernt. Er wurde heller. Und noch heller. Sein Durchmesser verringerte sich nochmals.
    Das Dröhnen in Harrys Kopf wurde lauter. Das Licht kam noch nä-
    her, eine Nadel, die sich von außen in sein Gehirn bohrte.
    »Aufhören!« kreischte Harry. »Aufhören, aufhören! Bitte!«
    »Wo ist er?« Mann.
    »Wo ist er?« Frau.

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    Thomas Kind wechselte von einer Stimme zur anderen, während er beide Rollen spielte.
    »Sagen Sie es uns, dann geht das Licht aus.« Mann.
    »Dann geht das Licht aus.« Frau.
    Beide Stimmen ruhig, sogar beruhigend.
    Das Dröhnen wurde donnernd laut. Lauter als jeder Lärm, den Harry in seinem Leben gehört hatte. Eine riesige Kesselpauke, die in seinem Kopf geschlagen wurde. Und das Licht bohrte sich tiefer in sein Gehirn, eine weißglühende Nadel, die auf das Dröhnen zustieß.
    Sich mit ihm zu vereinigen versuchte. Heller als alles, was er jemals gesehen hatte oder sich hätte vorstellen können. Heller als der Licht-bogen beim Elektroschweißen. Der glutflüssige Sonnenkern. Der Schmerz war so entsetzlich, daß er nicht einmal mit dem Tod enden würde. Harry würde diesen Horror in die Ewigkeit mitnehmen.
    »Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht! Aufhören!
    Aufhören! Bitte, bitte… Bitte…«
    Das Licht erlosch.

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    Rom. Harry Addisons Zimmer im Hotel Hassler.
    Donnerstag, 9. Juli, 6 Uhr
    Hier war nichts verändert worden. Harrys Aktenkoffer und seine Notizen lagen auf dem Schreibtisch neben dem Telefon, wie er sie zurückgelassen hatte. Das galt auch für seine Sachen im Kleiderschrank und die Toilettenartikel im Bad. Der einzige Unterschied war, daß beide Telefone, das auf dem Schreibtisch und das neben dem Bett, jetzt eine Wanze enthielten, während in die Deckenleuchte eine winzige

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