Des Teufels Kardinal
jeden Preis geheimhalten wollen.«
»Das ist offenbar ein Risiko, das sie eingehen wollen«, stellte Taglia fest.
»Offenbar…« Roscani drückte seine Zigarette wieder aus und sah langsam von Taglia zu Farel und dann zu Castelletti, Scala und den anderen hinüber.
»Es gibt noch eine weitere Erwägung.« Farel stand auf und knöpfte sein Jackett zu. »Erhalten die Medien den Videofilm, müssen sie auch ein Foto des Geistlichen und vor allem Informationen bekommen, die bisher streng geheim gewesen sind. Ein Vatikanpriester, der einen römischen Kardinal ermordet hat. Ich habe darüber mit Kardinal Palestrina, unserem Sekretär des Auswärtigen, gesprochen, der mit mir der Ansicht ist, daß solche Enthüllungen, unabhängig von den persönlichen Gefühlen des Papstes, den Heiligen Stuhl in den größten Skandal seit Jahrzehnten hineinziehen würden. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem der Einfluß der Kirche höchst unpopulär ist.«
»Farel, wir sprechen von Morden!« Roscani starrte den Chef der Vatikanpolizei aufgebracht an.
»Versuchen Sie bitte, Ihre persönlichen Leidenschaften im Zaum zu halten, Ispettore capo. Sie werden sich daran erinnern, daß sie mit der Grund dafür gewesen sind, daß nicht Sie mit der Leitung der Ermittlungen betraut worden sind.« Farel erwiderte Roscanis Blick noch eine Sekunde, bevor er sich an Taglia wandte.
»Ich bin sicher, daß Sie die richtige Entscheidung treffen werden.«
Damit wandte er sich ab und verließ den Raum.
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Roscani fiel es wieder einmal schwer, Farel zu ignorieren. Der Chef der Vatikanpolizei war barsch, kompromißlos direkt und unhöflich.
Er stellte die Interessen des Heiligen Stuhls über alles andere, als stehe hier nur für den Vatikan etwas auf dem Spiel. Damit mußte jeder rechnen, der mit ihm zu tun hatte, besonders jedoch, wenn man einer nicht Farel unterstehenden Polizei angehörte und wie Roscani ein introvertierter, viel weniger politisch denkender Mensch war. Im Dienstalltag war Roscani bestrebt, unter allen Umständen seine Pflicht zu tun und möglichst gute Arbeit zu leisten. Diesen Charak-terzug hatte er von seinem Vater geerbt. War man so veranlagt und sich dessen bewußt, ignorierte man Leute wie Farel am besten völlig und konzentrierte seine Energien auf Dinge, die positiv und für die eigene Arbeit nützlicher waren. Zum Beispiel auf Scalas verspätete Anmerkung zu dem Videofilm, als er nach Farels Abgang feststellte, Harry Addisons Kopfverband lasse darauf schließen, daß er bei dem Verkehrsunfall mit Pios Wagen verletzt worden sei. Falls er wegen der Kopfverletzung in ärztlicher Behandlung gewesen war, konnte der Arzt – sollten sie ihn finden können – ihnen einen Hinweis auf die Richtung geben, in die Addison geflüchtet war.
Und Castelletti, der sich nicht übertrumpfen lassen wollte, hatte sich den Hersteller und die verschlüsselte Seriennummer der Videokassette notiert. Wer konnte voraussagen, was Nachforschungen in dieser Richtung ergeben würden? Vom Hersteller zum Großhändler zur Ladenkette zur Filiale zu einem Verkäufer, der sich vielleicht daran erinnern würde, sie einem bestimmten Kunden verkauft zu haben.
Dann war die Besprechung zu Ende, und alle außer Taglia und Roscani verliefen sich. Taglia hatte eine Entscheidung zu treffen, und Roscani mußte sie sich anhören.
»Sie wollen den Videofilm den Medien überlassen«, sagte Taglia mit seiner sanften Stimme. »Und die Öffentlichkeit soll uns wie in der Fernsehserie America’s Most Wanted helfen, die Brüder Addison zu finden.«
»Manchmal funktioniert das.«
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»Und manchmal verkriechen die Flüchtigen sich dann noch tiefer.
Aber es gibt noch weitere Überlegungen. Ich denke daran, was Farel angesprochen hat. Die Sache ist hochbrisant und könnte zu diplomatischen Verwicklungen zwischen Italien und dem Vatikan führen.
Der Papst mag in diesem Fall persönliche Wünsche haben, aber Farel hat Kardinal Palestrina nicht umsonst erwähnt. Palestrina ist der eigentliche Bewahrer der vatikanischen Flamme und bestimmt dar-
über, wie die Welt den Heiligen Stuhl sieht.«
»Mit anderen Worten: Aus diplomatischer Sicht ist ein Skandal schlimmer als Morde. Und Sie werden den Videofilm nicht freigeben.«
»Nein, das tun wir nicht. Die Fahndung nach den Flüchtigen geht wie bisher unter strikter Geheimhaltung weiter. Alle einschlägigen Unterlagen bleiben unter Verschluß.« Taglia stand auf. »Tut mir leid, Otello… Buona sera
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