Des Teufels Kardinal
.«
»Buona sera.«
Dann schloß die Tür sich hinter Taglia, und Roscani blieb allein zu-rück, frustriert, machtlos. Vielleicht hatte seine Frau also doch recht.
Trotz seines Pflichteifers war die Welt weder gerecht noch voll-kommen. Und dagegen konnte er nicht viel tun. Aber er konnte wenigstens aufhören, sich immer wieder dagegen aufzulehnen, um sich selbst und seiner Familie das Leben ein wenig zu erleichtern. Natürlich hatte seine Frau recht. Sie wußte jedoch so gut wie er selbst, daß er sich sowenig ändern konnte, wie er die Welt zu ändern vermochte.
Roscani war Polizeibeamter geworden, weil er nicht ins väterliche Geschäft hatte eintreten wollen, weil er als Jungverheirateter nach materieller Sicherheit für seine zukünftige Familie gestrebt hatte und weil ihm dieser Beruf als aufregend und edel zugleich erschienen war.
Aber dann war etwas anderes passiert: Die durch sinnlose Gewalt zerstörten Leben von Verbrechensopfern hatten angefangen, ihn Tag für Tag persönlich zu berühren. Seine Beförderung mit gleichzeitiger Versetzung ins Morddezernat hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Aus irgendeinem Grund begann er, die Ermordeten unabhängig von ihrem Alter nicht so sehr als eigene Persönlichkeiten, sondern als jemandes Kinder zu sehen, die ein Recht darauf hatten, ihr 109
Leben zu Ende zu leben, ohne es sich auf so schreckliche Weise gewalttätig nehmen lassen zu müssen.
Aus Roscanis Sicht machte das die Fahndung nach den Tätern um so dringlicher. Faßt sie, bevor sie erneut morden können! Aber wie oft hatte er sie geschnappt, nur um erleben zu müssen, daß die Gerichte sie aus diesen oder jenen Gründen wieder auf freien Fuß gesetzt hatten? Das hatte ihn dazu getrieben, gegen Ungerechtigkeit im Justizwesen und anderswo aufzubegehren. Er führte einen Kampf, den er nicht gewinnen konnte, aber er dachte nicht daran aufzugeben.
Roscani griff nach der Fernbedienung und richtete sie auf den Großbildfernseher. Das Gerät schaltete sich mit einem Klicken ein.
Er spulte den Film zurück, drückte die Starttaste und sah sich den Film nochmals an. Er sah Harry Addison auf dem Hocker, sah ihn mit aufgesetzter Sonnenbrille reden.
»Danny, ich bitte dich, aus deinem Versteck zu kommen… dich zu stellen… Sie wissen alles… Bitte, tu’s für mich… Stell dich bitte der Polizei… Bitte…«
Roscani sah, wie Harry zum Schluß eine Pause machte und dann offenbar noch etwas sagen wollte, als die Aufnahme plötzlich ab-brach. Er ließ den Film erneut ablaufen. Und noch einmal. Und noch einmal. Je öfter er ihn sah, desto mehr fühlte er seinen Zorn wachsen.
Er wünschte sich, die Tür ginge auf und Pio käme herein: unbekümmert lässig wie immer, von seiner Familie erzählend, nach Roscanis fragend. Statt dessen sah er Addison, Mr. Hollywood mit Sonnenbrille, auf einem Hocker sitzen und seinen Bruder bitten, er solle sich stellen – damit er liquidiert werden konnte.
Roscani schaltete den Fernseher aus. Im Halbdunkel kamen die Gedanken wieder zurück. Er wollte es nicht, aber sie kamen trotzdem: Wie er Harry Addison umbringen würde, wenn er ihn faßte.
Und daß er ihn fassen würde, stand für ihn außer Zweifel.
Er schaltete den Fernseher wieder ein, zündete sich eine Zigarette an und blies das Streichholz danach energisch aus. Solche Gedanken durfte er sich nicht gestatten. Er fragte sich, wie sein Vater an seiner Stelle auf den Mord an Pio reagiert hätte.
Abstand, er brauchte Abstand. Den verschaffte er sich, indem er den Videofilm erneut abspielte. Und noch einmal. Er zwang sich 110
dazu, ihn eiskalt analytisch zu betrachten, mit dem Blick eines erfah-renen Kriminalbeamten, der auf kleinste Hinweise achtete, die ihm weiterhelfen konnten.
Je öfter er den Film sah, desto mehr interessierten ihn zwei Dinge: die hinter Addison gerade noch erkennbare gemusterte Prägetapete und Addisons merkwürdiges Verhalten ganz zum Schluß, als er den Kopf hob und den Mund öffnete, um noch etwas zu sagen, das aber nicht mehr aufgenommen wurde. Roscani zog ein kleines Notizbuch aus seiner Jackentasche und notierte sich zwei Punkte.
Tapetenmuster mit Computerunterstützung vergrößern/verdeut-lichen.
Englischsprachigen Lippenleser unhörbare Wörter analysieren lassen.
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Rom, Via Po, Vatikanische Botschaft in Italien.
Zur selben Zeit
Bei ihrem ersten öffentlichen Auftreten seit der Ermordung des Kardinalvikars von Rom mischten die verbliebenen Vertrauten des Papstes, Kardinal
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