Des Teufels Kardinal
früher alte Kunden und Freunde, die Menschen, Firmen und Organisationen, die im Lauf der Jahre dazu beigetragen hatten, ihm seinen Ruf zu verschaffen.
Die genaue Zusammensetzung seines Kundenstamms war schon immer ein Geheimnis gewesen. Der Vatikan gehörte dazu. Nicola Marsciano, der für die Investitionen des Vatikans Verantwortliche, hatte den ganzen Nachmittag mit Weggen und einer vielköpfigen Gruppe von Anwälten und Wirtschaftsprüfern, die der Schweizer aus Genf mitgebracht hatte, in einer Privatwohnung in der Via Pinciana verbracht.
Seit über einem Jahr hatten Marsciano und Weggen die Investitionen des Heiligen Stuhls gestrafft und auf Energieversorgung, Verkehr, Hüttenwerke, Werften und Schwermaschinenbau konzentriert.
Auf international tätige Konzerne, Firmen und Spin-off-Firmen, die auf Infrastrukturmaßnahmen spezialisiert waren, auf den Bau und Ausbau von Fernstraßen, Wasserstraßen, Kraftwerken, Wasserwer-ken und dergleichen in Entwicklungsländern.
Die Investmentstrategie des Vatikans stand im Mittelpunkt von Palestrinas Bemühungen, die Zukunft des Heiligen Stuhls zu sichern.
Deshalb waren die Chinesen eingeladen worden, sich hier unter die Gäste zu mischen. Und sie waren gern gekommen, um zu demonstrieren, daß die Volksrepublik ein moderner Staat war, der die wirtschaftlichen Nöte der Entwicklungsländer ebenso ernst nahm wie deren europäische Freunde. Diese Einladung war eine Goodwill-114
Geste, die den Chinesen die Möglichkeit verschaffte, diskret Kontak-te zu knüpfen und zugleich von Palestrina hofiert zu werden.
Trotzdem galt Palestrinas Interesse nicht Entwicklungsländern allgemein, sondern nur einem Land: China selbst. Und außer einigen wenigen Männern, Pierre Weggen und den verbliebenen Vertrauten des Papstes, kannte niemand, nicht einmal der Heilige Vater, das eigentliche Ziel des Sekretärs für Auswärtiges, den Vatikan zu einem völlig anonymen, aber unverzichtbaren Partner der Volksrepublik China zu machen, der ihre politische und wirtschaftliche Zukunft entscheidend würde beeinflussen können.
Der erste Schritt war heute abend mit dem freundschaftlichen Empfang der Chinesen gemacht. Der zweite würde morgen folgen, wenn Marsciano einem aus vier Kardinälen bestehenden Ausschuß, der mit ihm die Investitionen der Kirche zu kontrollieren hatte, die neugefaß-
te »Investitionsstrategie in Entwicklungsländern« zur Beschlußfas-sung vorlegen würde.
Die Sitzung würde turbulent verlaufen, weil die Kardinäle konservativ und neuerungsfeindlich waren. Marscianos Aufgabe würde es sein, sie zu überzeugen, indem er ausführlich über die Regionen berichtete, die eingehend untersucht worden waren: Lateinamerika, Osteuropa und Rußland. Auch China würde natürlich erwähnt werden, aber nur unter dem Sammelbegriff Asien, der Japan, Singapur, Thailand, die Philippinen, China, Südkorea, Taiwan, Indien und so weiter umfaßte.
Die Schwierigkeit lag darin, daß das eine gezielte Irreführung war, unethisch und unmoralisch. Eine bewußte Lüge, damit Palestrina genau das bekam, was er wollte, ohne seine Absichten offenlegen zu müssen.
Außerdem hatte Palestrina noch viel weitreichendere Pläne. China, das wußte der Sekretär des Auswärtigen nur allzu gut, war trotz seiner scheinbaren Öffnung eigentlich noch immer eine geschlossene Gesellschaft, die von einer autoritären kommunistischen Führungs-schicht straff gelenkt wurde. Zugleich verwandelte das Land sich jedoch rasch in einen modernen Staat, und ein modernes China mit einem Viertel der Weltbevölkerung und der damit verbundenen Wirtschaftsmacht würde zweifellos bald zur stärksten Großmacht der 115
Welt aufsteigen. Die Schlußfolgerung daraus lag auf der Hand: Wer China beherrschte, beherrschte die Welt. Und genau das war das Herzstück von Palestrinas Plan: die Beherrschung Chinas im kommenden Jahrhundert, die Wiederetablierung der katholischen Kirche in allen Großstädten, Städten und Dörfern. Und innerhalb eines Jahrhunderts die Erschaffung eines neuen Heiligen Römischen Reichs.
Würde das chinesische Volk nicht mehr von Peking, sondern von Rom aus gelenkt, würde der Heilige Stuhl die größte Supermacht der Welt sein.
Das war natürlich Wahnsinn und nach Marscianos Überzeugung ein klarer Beweis für Palestrinas zunehmende Geistesverwirrung.
Gegen Palestrina waren sie jedoch alle machtlos. Der Heilige Vater, dessen Liebling Palestrina war, ahnte nichts von dessen Großmacht-plänen. Und da Papst
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