Des Teufels Kardinal
Schwester Maria-Louisa, war ebenso neu wie seine Sekretärinnen und sein Bürovorsteher. Von seinen ursprünglichen Mitarbeitern war einzig noch Pater Bardoni da, aber auch nur, weil er als Computerfachmann für den Datentransfer von und zu Weggens Genfer Büro unentbehrlich war. Sobald der neue Investitionsplan gebilligt war, würde auch Pater Bardoni verschwinden, davon war der Kardinal überzeugt. Er war der letzte der wahrhaft Getreuen, und wenn er ging, würde Marsciano hilflos in Palestrinas Schlangengrube zurückbleiben.
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Harry bewegte sich unsicher durch die Dunkelheit. Sein Kopf schmerzte noch immer, sein Rücken scharrte die rauhe Tunnelwand entlang, und seine unverletzte rechte Hand war ausgestreckt, um Herkules’ schwere Tür zu ertasten. Er mußte hier raus, bevor der Zwerg zurückkam. Wer wußte, wen Herkules dann mitbringen wür-de? Freunde? Die Polizei? Was mußten sechzigtausend Dollar für eine Kreatur wie ihn bedeuten?
Es hatte ihn den größten Teil seiner Kraft gekostet, sich nur anzuziehen, Dannys Sachen einzusammeln und Herkules’ Unterschlupf zu verlassen. Was er tun würde, wenn er hier herauskam, wußte er nicht, aber alles war besser, als dazubleiben und untätig abzuwarten, was Herkules vorhatte.
Vor und hinter ihm war alles schwarz. Dann sah er etwas: einen winzigen Lichtpunkt in der Ferne. Das Ende des Tunnels. Er spürte einen Schauder der Erleichterung, als er sich mit dem Rücken zur Wand darauf zuschob. Das Licht wurde heller. Er bewegte sich rascher. Sein Fuß berührte etwas Hartes. Er blieb stehen, um es mit der Schuhspitze abzutasten: Stahl, ein Gleis. Er sah wieder auf. Das Licht schien näher gekommen zu sein. Es erinnerte ihn an das Fol-tergerät, das seine unbekannten Entführer verwendet hatten. Aber das konnte nicht sein. Wo war er? Befand er sich noch immer in der Gewalt dieser Leute?
Dann fühlte er den Boden unter sich erzittern. Das Licht kam auf ihn zugerast. Im nächsten Augenblick wußte er, wo er war: in einem U-Bahn-Tunnel. Das heranrasende Licht waren die Scheinwerfer eines U-Bahn-Zuges. Er machte kehrt und stolperte den Weg zurück, den er gekommen war. Das Licht wurde heller und heller. Sein linker Fuß rutschte auf dem Gleis aus, und er wäre beinahe hingefallen. Er hörte das schrille Pfeifen eines Warnsignals, dann kreischte Stahl auf Stahl, als der U-Bahn-Fahrer eine Notbremsung einleitete.
Plötzlich ergriffen ihn muskulöse Hände und drückten ihn gegen die Tunnelwand. Er sah die beleuchteten Wagen, als die U-Bahn nur wenige Handbreit von ihm entfernt vorbeirollte. Dann war 144
der Zug vorbei und kam fünfzig Meter weiter mit kreischenden Bremsen zum Stehen.
»Sind Sie übergeschnappt?«
Harry sah Herkules, dessen Hände seine Oberarme mit eisernem Griff umfaßten, über sich gebeugt.
Von der stehenden U-Bahn her waren Rufe des Zugpersonals zu hören. Männer kletterten auf die Gleise herab und kamen mit Taschenlampen auf sie zu.
»Los, mitkommen!«
Herkules riß ihn hoch, drehte ihn um und stieß ihn in einen schmalen Seitengang. Im nächsten Augenblick schob er ihn eine Arbeitslei-ter hinauf und folgte ihm dann selbst, indem er sich seine Krücken über einen Arm hängte und sich wie ein Zirkusartist nach oben hangelte.
Hinter sich hörten sie die Rufe des Zugpersonals. Herkules schob Harry in einen weiteren Gang, in dem isolierte Kabel und Lüftungs-rohre verliefen.
Diesem Gang folgten sie einige hundert Meter weit, bis sie endlich unter einem Lüftungsschacht haltmachten.
Herkules sagte lange nichts, sondern horchte angestrengt nach hinten. Erst als er sicher war, daß sie nicht verfolgt wurden, wandte er sich an Harry.
»Das melden die der Polizei. Die kommt her und sucht den Tunnel ab. Findet sie meine Unterkunft, weiß sie, daß Sie dort gewesen sind.
Und ich bin dann obdachlos.«
»Tut mir leid…«
»Immerhin wissen wir jetzt zwei Dinge: Sie haben sich soweit erholt, daß Sie wieder gehen, sogar rennen können. Und Sie sind nicht mehr auf einem Auge blind.«
Tatsächlich konnte Harry wieder sehen. Er hatte nicht mal Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Er war durch die Dunkelheit gestolpert, hatte dann das Licht der U-Bahn und die Fahrgäste in den Wagen gesehen. Nicht mit einem Auge, sondern mit beiden.
»Schön«, sagte Herkules, »Sie sind frei.« Mit diesen Worten nahm er ein kleines Paket von seiner Schulter und hielt es Harry hin.
»Machen Sie es auf.«
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Harry blickte das Paket an, öffnete es dann, wie
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