Des Teufels Maskerade
diese Geschichte publik wird.«
Ich gestand mir einen Augenblick voller Erstaunen zu, ehe ich sagte: »Das bedeutet, der Fluch ist nicht an die Blutlinie gebunden. Es sei denn, deinem Mörder ist diese kleine Episode nicht bekannt.«
»Unwahrscheinlich«, warf Felix träge ein und rieb sich die dunkel geränderten Augen. »Davon abgesehen: Blutlinie, ich bitte dich! Jindřich war wohl ebenso wenig blutsverwandt mit Milan, dem ersten Graf von Trubic, wie ich selbst. Du darfst
nicht vergessen, mit den Jahrhunderten wurde der Titel zwischen allen denkbaren Linien und Nebenlinien des Hauses weitergegeben. Vermutlich aus den üblichen Gründen: Skandale, Enterbungen, keine männlichen Nachfahren – und doch frage ich mich, ob die lange Reihe der Trubic’schen Ahnen nicht dann und wann einen klugen Kopf hervorgebracht hat, der die Zeichen zu deuten wusste, und den Titel rundheraus ablehnte? Wir werden es niemals erfahren.«
Somit konnte der Fluch an den Titel selbst gebunden sein. Aber hatte Jindřich davon gewusst? Oder hatte er die Pistole in dem Glauben gegen sich gerichtet, seinem Sohn das grauenvolle Schicksal der Ahnen erspart zu haben?
»Es wäre ihm zu wünschen gewesen, dass er sich nicht allzu sehr mit unserer Familiengeschichte auseinandergesetzt hatte und seine Illusionen noch mit ins Grab genommen hat«, sagte Felix, und offenbarte mir damit, dass ich meine Überlegung wieder einmal in Worte gekleidet hatte.
»Wir sollten dennoch noch einmal einen Blick auf deine Ahnenreihe« – absichtlich benutzte ich die Wendung; ich fühlte, wie Felix’ Lächeln mich streifte – »werfen. Vielleicht existiert noch irgendein Hinweis, den du … den wir … bisher übersehen haben.«
Felix streckte sich zur Klingelschnur und läutete nach dem Diener. »Ich hoffe es, Dejan. Ich hoffe es sehr.«
Wenig später saßen wir über Kopien der höchst verzweigten Ahnentafeln des Hauses Trubic, die Felix schon vor vielen Jahren hatte anfertigen lassen. Die Originale lagen seinen Angaben zufolge im Tresorraum eines bekannten Wiener Bankhauses. Eine leidgeprüfte innere Stimme legte mir die Möglichkeit nahe, dass Felix mir aus unerfindlichen Gründen soeben die Fälschung seines Familienstammbaums zeigte.
»Dejan? Deine zerknitterte Miene verrät mir, dass Unerfreulichkeiten dein Gemüt beschweren«, spottete Felix. »Möchtest du mich nicht daran teilhaben lassen?«
Mit ein paar Notizbögen fächerte ich mir Luft zu, überlegte: Welchen Sinn hätte es, ihm die alten Vorhaltungen zu machen, dass er mit seinen so eifersüchtig gehüteten Geheimnissen, seinen Täuschungen und Lügen das Fortkommen unserer ohnehin schwerfälligen Ermittlungen behinderte? Lächeln würde er und mich darauf hinweisen, dass weder seine illegitime Geburt noch Lilis arrangierte Heirat mit Waldhausen ursprünglich in irgendeinem Zusammenhang zu dem jahrhundertealten Fluch seiner Familie gestanden wären. Wie hätte er denn ahnen können, dass nicht nur Lili, sondern er selbst in weit engerer Beziehung zu dem Vampir stand, als er es sich jemals hatte träumen lassen? Und was die Tagebuchaufzeichnungen Jindřichs betraf, spielte es denn wirklich eine Rolle, aus welchen Gründen sie entwendet worden waren? Nein, würde er mir versichern, und selbst daran glauben: Er hatte mir nur Einzelheiten unterschlagen, die nicht im Zusammenhang mit meinem Fall, sondern als Geheimnisse für sich existiert hatten.
Ich blieb ihm eine Antwort schuldig und wandte meine Aufmerksamkeit wieder der verwirrenden Erbfolge im Hause Trubic zu. Wenn ich den Aufzeichnungen trauen durfte, so hatte kein Graf von Trubic jemals seinen 41. Geburtstag erlebt (die meisten waren sogar noch deutlich früher aus dem Leben gegangen). Bis zu Milan, Baron Trubic, der in der letzten Dekade des 16. Jahrhunderts nach Böhmen gekommen war, und kurz vor seinem Tod für Dienste am Kaiserreich (wenn wir der Chronik Glauben schenken durften) in den Stand eines Grafen erhoben worden war, reichte die makabre Tradition zurück.
Milan Trubic. Nachdenklich tippte ich mit meinem behandschuhten
Zeigefinger gegen den Namen auf dem Papier. Geboren 1562, bei Belgrad. Gestorben 1603 in Prag, fast zwanzig Jahre vor der Schlacht am Weißen Berg. »Milan Trubic«, sagte ich leise. »Was ist dein Geheimnis?«
12
PRAG 2. JULI 1909
AUS DEN AUFZEICHNUNGEN BARON SIRCOS, PRAG, 2. JULI 1909
Tausenderlei Gedanken beschäftigten mich, als ich zur Mittagsstunde unsere Wohnung betrat, wo ich Lysander
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