Des Teufels Maskerade
bald ausg’soffen hab’n, und dann werd’ ich immer noch dahocken und blöd schau’n.«
Schon wollte ich mich schweigend entfernen, da glotzte er mich aus blutunterlaufenen Augen an und rief: »Na, ist das denn die Möglichkeit?«
Noch ehe ich entscheiden konnte, woher dieser Mensch mich zu kennen meinte (und ob ich auch mit ihm bekannt sein wollte), da hatte er sich schon von seinem Sessel erhoben. Zielsicher, wenn auch schwankend, steuerte er auf mich zu, und klopfte mir mit einem unverschämten »Servus, Hauptmann« auf die Schulter – die verletzte Schulter, selbstredend.
Ich zuckte zusammen und musterte ihn ratlos. Ein Bekannter aus der Armee, das stand fest. Gleichrangig, bestenfalls eine Stufe über mir in der militärischen Hierarchie stehend. Darüber hinaus jemand, bei dem ich ausreichend Eindruck hinterlassen hatte, dass er sich auch Jahre nach meinem überstürzten Abschied von Regiment und Offizierswürden noch an mich erinnerte – gleichzeitig aber vergesslich, unwissend oder bösartig genug war, um meinen ehemaligen Rang zu strapazieren.
Jetzt beäugte er mich misstrauisch. »Sie sind doch Hauptmann von Sirco?«
»Nicht mehr«, korrigierte ich steif. »Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
Der Trunkenbold schlug sich mit einer Hand gegen die Stirn, torkelte einen Schritt zur Seite. »Jössas na, ich bitt’ vielmals um
Entschuldigung!« Seine Äuglein glänzten, als er mir voll Häme versicherte, die ganze blöde Geschichte vergessen zu haben. Sodann nahm er Haltung an und gab sich mir als Ferdinand Werner, Rittmeister, zu erkennen: einer der Ausbildner in jenen Tagen, als ich Kadett in Olmütz war.
Sofort stellte sich mir die Frage, was ihn genau hierher, nach Prag, in Esthers Salon geführt hatte. Durfte ich auf einen nicht weiter bemerkenswerten Zufall spekulieren? Oder hatte man sich in Wien doch noch dazu aufgerafft, genauere Ermittlungen zum Tod Oberst Waldhausens einzuleiten? Wie würde der brave Rittmeister reagieren, wenn er von dem Vampir und Lili Trubics tödlicher Kabale erführe – doch das durfte nie geschehen.
Rittmeister Werner indes schien nicht geneigt, mich so bald wieder freizugeben. »Wollen’S nicht mit mir frühstücken gehen?« , schlug er vor, meinen höchst unangemessenen Aufzug ignorierend. Wie freundlich er nun wieder tat! Bis zu meiner unehrenhaften Entlassung aus der Armee hatten wir in losem Briefwechsel gestanden: Wie so viele meiner Bekannten und Freunde hatte aber auch er nach dem Skandal jeglichen Kontakt zu mir abgebrochen.
»Im ›Urban‹, da sollt’ jetzt der Steiner, mein alter Freund, herumsitzen, der hat mich nach Prag eingeladen …«
Kurz lauschte ich dem verworrenen Bericht des Rittmeisters über seine bisherigen Prager Unternehmungen. Welch Ironie, dass er mir damals in Olmütz unter all den ausbildenden Offizieren der liebste gewesen war: Ruppiges und ungeschliffenes Individuum, das er nun einmal war, hatte er mich – den arroganten unglücklichen Jungen mit dem unmöglichen Akzent – fast mit väterlicher Freundlichkeit behandelt. Und wie hatte ich es ihm damals gedankt? Eines Nachts, ich wusste aus sicherer Quelle, dass er ausgegangen war, hatte ich mir mit zwei Kameraden Zutritt zu seinen Zimmern in der Kaserne
verschafft. Wir hatten seine Vorräte an französischem Wein (von denen ich durch selbige zuverlässige Quelle erfahren hatte) plündern wollen. Das Bubenstück hatte eine moralisch deutlich verwerflichere Wendung angenommen, als ich das Tagebuch auf seinem Schreibtisch erblickte, und – Anstand war mir damals fremd gewesen – darin zu lesen begonnen hatte. Er hatte nichts Aufregenderes zu verzeichnen gehabt, die üblichen pikanten Histörchen, die das Offiziersleben mit sich brachte; nichts, wovon Kameraden in geringfügigen Abwandlungen nicht schon unzählige Male berichtet hatten; nichts, was ich nicht trotz meiner jungen Jahre schon selbst erlebt hatte – und dennoch hatte ich bis heute nicht des Rittmeisters Liaison mit der holländischen Balletttänzerin vergessen …
Und dann, plötzlich, traf mich die Erkenntnis wie ein Blitzschlag: Felix hatte mir geantwortet, es gäbe nichts mehr, woran er sich in concreto erinnern könnte, als ich ihn nach Episoden aus den Tagebüchern seines Vaters fragte. War es möglich, dass ihm tatsächlich kein Detail aus den als Junge unrechtmäßig gelesenen Tagebüchern im Gedächtnis geblieben war?
Ich unterbrach Rittmeister Werners Redeschwall mit einem raschen Grußwort
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